Schallplatte, Rundfunk & Schlager

Themen des Wienerliedes
Ariston(1900)
Ariston (ca. 1900)
1877 erfindet Thomas Edison den Phonographen, das erste Gerät zur Aufzeichnung von Schallwellen. Zehn Jahre später baut Emil Berliner das erste Grammophon. „Vorläufer“ sind mechanische Musikapparate wie Walzendrehorgeln oder die Ariston-Plattendrehorgel. Sie sind nicht nur teuer, sondern erfordern einiges Geschick beim Abspielen. Das Grammophon, das man nur aufziehen musste, ist das erste praktikable Gerät für den Heimgebrauch und revolutioniert die Musikwelt, wie später das Radio. Die jederzeit verfügbare Musikkonserve wird der Hauptkonkurrent aller Live-Musikunterhaltung.
Die Schellackplatte mit ihrer Spielzeit von vorerst 1-2, später 3 Minuten verändert die Aufführungs- und Hörgewohnheiten erheblich. Die Vortragslieder der Volkssänger mit langen Texten und vielen Strophen müssen drastisch gekürzt werden. Neuere Kompositionen nehmen vielfach Rücksicht auf die Möglichkeiten des neuen Mediums. Und häufig werden Stücke in sehr raschem Tempo eingespielt, um sie auf der Schellack unterzubringen. Dies ist beim Abhören alter Aufnahmen immer zu bedenken. Bilder/Grammophon(1900)
Grammophon (um 1900)

Die Platte und der Rundfunk (in Österreich die RAVAG, ab 1.10.1924) generieren und verbreiten den Schlager. Allerorts hörbare Melodien, Gassenhauer hat es auch vorher gegeben. Angeblich wurde der Begriff Schlager erstmalig in einer Schweizer Zeitung für den Donauwalzer verwendet. Jedenfalls existiert er ab den 1870er Jahren. Der Schlager erlebt seine erste große Zeit nach dem Ersten Weltkrieg in den 1920er Jahren. Mein kleiner grüner Kaktus, O Donna Clara, Wo sind deine Haare August und viele andere Produktionen haben bis heute als Evergreens überlebt. Sie stammen von Textdichtern und Komponisten, die sowohl Operetten als auch Schlager und sehr häufig auch Wienerlieder geschrieben haben. Die Grenze zwischen diesen Genres wird fließend.

Aristonscheibe
Josef Franz Wagner: Gigerl-Marsch
Wienerlieder dieser, vornehmlich jüdischen Autoren verwenden den Wiener Dialekt nur soweit, wie er auch noch für anderes deutschsprachiges Publikum verständlich ist. Fritz Löhner-Beda (D’runt in der Lobau; Ausgerechnet Bananen; Was machst du mit dem Knie, lieber Hans), Fritz Rotter (Ich hab’ mir für Grinzing einen Dienstmann engagiert; Ich küsse Ihre Hand Madame; Veronika, der Lenz ist da), Fritz Grünbaum (Wien im Mai; Du sollst der Kaiser meiner Seele sein; Ich hab das Fräul’n Helen baden seh’n) und Hermann Leopoldi (In einem kleinen Café in Hernals; Schnucki, ach Schnucki; Schön ist so ein Ringelspiel) seien hier stellvertretend genannt. Musikalisch machen sich Amalgame aktueller Strömungen der Unterhaltungsmusik bemerkbar wie Shimmy, Foxtrott, Tango und Jazz. Der März 1938 beendet diese fruchtbare, interessante und amüsante Entwicklung gewaltsam.
Der Rundfunk verbreitet nicht nur den Schlager. Auch Volksmusik und Wienermusik sind, wenn auch nicht besonders üppig, so doch vertreten. Das Radio spielt natürlich die auch am Markt erhältlichen Tonträger, kreiert aber auch seine eigenen Stars wie Mizzi Starecek und Rudi Hermann, Franz Schier, Franz Niernsee, Hans Matauschek, Leopoldine Lauth und später vor allem Maly Nagl. 1946 beginnt Heinz Conrads seine 40-jährige Rundfunk-Karriere. Seine Sendung heißt Was gibt es Neues in Wien? und schließlich nur mehr Was gibt es Neues?. Das Pendant im Fernsehen läuft ab 1957 unter dem Titel Guten Abend am Samstag. Diese legendäre Sendereihe endet 1986 mit dem Tod von Heinz Conrads. In den 1990er Jahren stellt Radio Wien, das sich jetzt als modernes Stadtradio gibt, Wienerliedsendungen überhaupt ein.

Zur Zeit (2012) existieren regelmäßige Rundfunksendungen zum Wienerlied nur auf Radio Orange und auf 1476 kHz Mittelwellenfrequenz des ORF, beide Sendungen sind durch ihre geringe Reichweite, schlechtem Empfang oder späte Sendezeit nicht optimal erreichbar. Der Beitrag des Fernsehens zur Wienermusik ist zu vernachlässigen, auch wenn der wiederholte Auftritt vom Wienerlied-Trio Agnes Palmisano, Roland Sulzer und Rudi Koschelu in der Sendereihe Mei liabste Weis von Franz Posch überaus positiv aufgenommen wurde und die Aufnahme des Wiener „Dudlers” in die (Antrags-)Liste des Weltkulturerbes der UNESCO der Wiener Volksmusik eine gewisse mediale Aufmerksamkeit beschert hat.