Die Kontragitarre

Schrammelharmonika
Kontragitarre von Karl Kirchner, 1900

Um 1800 entwickelte sich die sechssaitige Gitarre in der heutigen Stimmung, und schon kurz darauf experimentierten einige Gitarristen mit zusätzlichen Basssaiten. Die Rechnungsbücher des Johann Friedrich Voigt (Markneukirchen 1756-1826) führen 1826 erstmals einzelne Gitarren mit 13 und 14 Saiten an, die Wiege der klassischen Kontragitarre liegt aber im biedermeierlichen Wien. Seit ca. 1840 spielten viele Virtuosen wie z. B. J.K. Mertz, Johann Padowetz und Luigi Legnani mit mehrsaitigen Gitarren. Für die Begleitung in der Volks- und Unterhaltungsmusik waren tiefe Bässe und ein kräftiger Nachschlag („Kontra“ bezeichnete eben diesen Nachschlag) ideal. Schon Josef Lanner (1801-1843) musizierte mit zwei Geigen und Gitarre (mit den Brüdern Drahanek), diese Besetzung wurde von den Brüdern Staller übernommen und nach 1850 um eine Klarinette erweitert, und seit den 1860er Jahren verwendeten die meisten Volksmusikanten eine Harmonika anstelle der Klarinette. Die Brüder Schrammel schließlich verwendeten erstmals die 13-saitige Kontragitarre (Gitarrist war Anton Strohmayer) und prägten damit einen Stil, der auch außerhalb Wiens häufig kopiert wurde und auch heute noch sehr populär ist. Schrammelpartien formierten sich in ganz Österreich und besonders in Bayern.

Im Instrumentenbau entwickelten sich um 1850 neue Konzepte: Bis zu vier zusätzliche Basssaiten konnten noch am Wirbelkasten seitlich angebracht werden, für mehr war ein zusätzlicher Hals und Wirbelkasten wie bei den Theorben des 17. Jahrhunderts erforderlich. Diesem Patent begegnen wir erstmals bei Johann Anton Stauffer, der gemeinsam mit seinem Vater wohl zu den kreativsten Gitarrenbauern überhaupt gezählt werden muss. Sein Schüler Johann Gottfried Scherzer perfektionierte diese Idee in den 1860er Jahren und bildete das Fundament des klassischen Wiener Gitarrenbaus, auf dem später Friedrich Schenk, Ludwig Reisinger, Josef Swossil, Wendelin Lux, Franz Xaver Güttler und Franz Angerer aufbauten. In Richard Witzmanns Werkstätte in der Wiener Westbahnstraße werden seit fast 100 Jahren Kontragitarren gebaut – Witzmann übernahm die Werkstätte von Josef Wesely, der bei Ludwig Reisinger als Geselle gearbeitet hatte. Sogar die alte Saitenspinnerei, die Reisinger von der Seidengasse in die Zieglergasse mitgenommen hatte, ist dort noch vorhanden.

Eine Kontragitarre unterscheidet sich also von einer herkömmlichen Konzertgitarre durch einen zusätzlichen Hals, auf dem sieben bis neun frei schwingende, nicht zu greifende Basssaiten angebracht sind. Diese werden chromatisch von der tiefsten Saite der sechssaitigen Gitarre E nach unten gestimmt. Es wird somit bei einer dreizehnsaitigen das A, bei einer fünfzehnsaitigen Kontragitarre das G erreicht. Typische Baumerkmale der Wiener Kontragitarre sind der stark gewölbte und massive (mindestens 5mm starke) und in der Regel aus einem Stück Ahorn gefertigte Boden sowie ein schlanker, verstellbarer Hals (auch ein Patent Stauffers). Als Stimmvorrichtung dienen meist Holzwirbel, aber auch Mechaniken werden gelegentlich verwendet. Normalerweise spielte man in Wien auf dreizehnsaitigen Gitarren, die fünfzehnsaitigen tauchen ab ca. 1900 immer häufiger auf. Ebenfalls typisch für den Bau der Wiener Kontragitarren sind die extrem flachen Zargen. Sie sind am Mittelbug 70 bis 75mm, am Unterklotz gerade noch 60mm hoch. In Verbindung mit dem im Vergleich zur Konzertgitarre größeren Korpus erhält das Instrument einen knackigen, nicht lange nachklingenden, mittigen Basston. Ein weiteres Charakteristikum ist die in Längsrichtung eingebaute Korpusstütze. Sie erfüllt einerseits eine statische Funktion, andererseits ermöglicht sie durch eine Stellschraube unter dem Hals die Veränderung der Saitenlage über dem Griffbrett. Korpusstützen werden in der Regel aus Metall gefertigt, es werden aber auch Materialien wie Kohlefaser, die durch das geringe Gewicht besticht, verwendet. Mittlerweile gibt es auch Kontragitarren, die durch eine neuartige Kreuzverbalkung der Decke ohne Korpusstützen die nötige Stabilität erreichen.

Ab spätestens 1890 werden auch in England und Amerika Patente für zweihalsige Gitarren, den sogenannten Harp Guitars (Harfengitarre), angemeldet. Diese Bezeichnung ist eine Referenz an die freischwingenden Saiten der Harfe, besagt aber nichts über ihre Bauform. Vor allem in den USA gibt es goßes Interesse an dem Instrument, die Harp Guitar Foundation organisiert seit 2003 ein jährliches Harp Guitar Gathering, bei dem zahlreiche Musiker ihre Instrumente mitbringen und in Workshops voneinander lernen. Ein meist geschwungener, von der antiken Lyra entlehnter Hals stellt optisch einen Unterschied zwischen den amerikanischen Harfengitarren und den Wiener Kontragitarren dar (http://harpguitars.net/). Im Videoclip „Kontragitarre“ spielt neben Rudi Koschelu (Wiener Kontragitarre) der Musiker Joachim Csaikl auf seiner Harfengitarre nach amerikanischem Vorbild.

Die Wiener Instrumente zeichnen sich aus durch einen kräftigen, trockenen Bass und brillanten Diskant. Deutsche Instrumente aus Klingenthal, Markneukirchen und Mittenwald hingegen sind mehr am Konzept der klassischen Gitarre orientiert, vor allem in Hinblick auf das Verhältnis von Ansprache und Nachklingen des Tones. Durch die chromatische Stimmung der sieben bis neun zusätzlichen Basssaiten ist sie für die Verwendung in der Wiener Musik, die im Gegensatz zur alpenländischen Volksmusik durch eine komplizierte Harmonik und den Hang zur Chromatik geprägt ist, wie geschaffen.

Stefan Hackl: Die Kontragitarre in Tirol; Reinhard Kopschar: Die Kontragitarre in Wien, Diplomarbeit a.d. Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien, 2001 [Mitarbeiter im Wiener Volksliedwerk].