Kaufrufe

Das ländliche Lied
In Wiens Straßen war in früheren Jahrhunderten nicht nur das Gepolter der Wagenräder auf dem Pflaster und der Lärm gewerblichen Fleißes zu hören. Viele Wanderhändler ließen ihren typischen Ruf erschallen, um Kunden anzulocken. Ein gefragter Straßenhändler war der Koleffl-Spillarei-Krowod, unterwegs mit kleinen Holzwaren und Spielzeug war er natürlich besonders bei seinen besten Kunden, den Kindern, beliebt (denen er immer wieder einen fehlenden Kreuzer nachzulassen pflegte). Er wird in Schilderungen des Alltagslebens als typische Straßenfigur immer wieder erwähnt:

Selbstbewußt und gravitätisch stolzierte er, sein reich sortiertes Warenlager in einem flachen Umhängekorb zur Schau tragend, langsamen Schrittes durch die Gassen. Von Zeit zu Zeit ließ er aus einer primitiv gearbeiteten hölzernen Flöte eine kurze, schalmeiartige Melodie ertönen, um anschließend sodann in stark slawischem Akzent seine Waren anzubieten. [...] Einmal schrie er »Guchleffl, Spillarei, Sprudle dazu, helzene Feiflitschku, was machte tu-lu«, ein anderes mal wieder »Kuleffl, Spillelei, hulzene Fertl (Pferdchen), was frisst kane Hei« oder »Gaafte Guleffl, Spillelei! [...] Fandl, Sprudl, brettane Nudl, hulzane Fertl, fleischane Schlegl, hulzane Tegl! – Gaafts, Mutterle, gaafts!«.
Otto Krammer: Wiener Volkstypen. Von Buttenweibern, Zwiefel-Krowoten und anderen Wiener Originalen, Wien 1983.

Wie der Zwiefel-Krowot oder der Rastelbinder stammte er aus dem Trencziner Komitat in der heutigen Slowakei. Diese Wanderhändler und -arbeiter (der Rastelbinder reparierte Krüge, Pfannen etc. und verkaufte Gegenstände aus Draht wie z.B. Mausefallen oder Drahtbürsten) hatten ein kaiserliches Privileg, also die Berechtigung, einer solchen Wandertätigkeit nachzugehen, was normalerweise nicht erlaubt war. Sie standen dabei im Dienst eines einzelnen Unternehmers, der sie bekleidete, verköstigte sowie für ihr Quartier und ihre Handelswaren oder Werkzeuge sorgte. Kein Wunder, dass diese Leute kaum große Gewinne machen konnten!

Die Drátasz hatten in ihrer Heimat eigene Satzungen, denen sie sich freiwillig unterstellten. Die jungen Menschen mußten vier Jahre lang mit einem erfahrenen Drahtbinder umherziehen, nicht nur um das Handwerkliche, sondern auch die Menschen anderer Länder und ihre Art kennen zu lernen. Aber auch nach diesen Lehr- und Wanderjahren durften sie noch nicht selbstständig arbeiten. Sie kamen zu einem Meister (Mijstra), der sie weiter leitete und beaufsichtigte. Der Mijstra bestimmte nicht nur die Reiseroute, sondern entschied auch sonst in allen Dingen. Die ihm unterstellten Gesellen und Lehrlinge mußten täglich einen Mindestverdienst erreichen, dessen Höhe jeweils von ihm, den Umständen angepasst, bestimmt wurde. [...] Um selbst Meister zu werden, mußte man nicht nur eine jahrelange, gediegene Erfahrung haben, sondern auch ein Kapital von 50 Gulden, welche zu ersparen nicht jedem gelang. War aber dann einer Meister, konnte er ein Geschäft auf eigene Rechnung betreiben. Für ihn bot sich dann leichter die Möglichkeit, einige hundert Gulden zu ersparen und mit diesem kleinen Kapital in die Heimat zurückzukehren.
Otto Krammer: Wiener Volkstypen. Von Buttenweibern, Zwiefel-Krowoten und anderen Wiener Originalen, Wien 1983.
bretzelmann Der Handlee (Audio) war ein kleiner jüdischer Kleider-Einkäufer, sein charakteristischer Ruf Nix z’ Handeln galt Wienern, die einen „abgelegten“ Rock oder eine alte Hose verkaufen wollten – meist sicher aus Geldverlegenheit. Daher war er nicht in der Vorstadt, am Grund unterwegs, sondern in den „besseren“ Bezirken und in Beamtenvierteln. Seine Geschäftstüchtigkeit musste er zweimal beweisen: Einmal, um die Kleidungsstücke möglichst billig einzukaufen, dann aber seinem Abnehmer (einem jüdischen Altkleiderhändler oder Trödler) teurer zu verkaufen. Von diesem wurden sie dann (repariert und/oder gewaschen) im Laden wieder angeboten.
Andere versorgten die Wiener in den Straßen, im Prater und bei allen öffentlichen Festen mit Nahrung: Der Wurstverkäufer Salamutschi, das Radiweib, das Kasweib, die Obst-, Lemoni- und Pomeranzenweiber oder der Bretzelmann. Auch ein Glas frisches Wasser konnte man um einen Kreuzer am Wegesrand kaufen oder auf dem alten Wasserglacis frisch gemolkene Ziegenmilch vom Ziegenmilchmädchen.

Den „zureisenden“ Wanderhändlern war mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges ihre Tätigkeit unmöglich gemacht – wurden sie in der Heimat auch nicht zur Armee eingezogen, waren doch alle Grenzen gesperrt. Mit dem Ende des Kaiserreiches verwandelten sich die alten Privilegien ihrer Dörfer in Erinnerungen.

Als letzter Kaufruf war bis 1970 noch das An Lavend’l kauft ’s ma o! (Audio) der Lavendelfrauen zu hören.