Die Schrammelharmonika

Zither
Knopfgriffakkordeon3

Als erstes Instrument, das Töne mittels frei schwingender Zungen (Zungenpfeifen) erzeugt, gilt die Cheng aus China, in der Legende mit 3000 v. Chr. datiert. Auch im alten Griechenland und Ägypten war diese Art der Tonerzeugung bekannt. Im 16. und 17. Jahrhundert begegnen wir in Europa dem Regal, einer tragbaren Kleinorgel mit Zungenpfeifen, die in der Kirchenmusik, der Theater-, Tafel-, Tanz- und Hausmusik sehr beliebt war.

In Wien baute Anton Haeckl im Jahr 1818 die sogenannte Physharmonika, Vorläufer des Harmoniums, der Harmonika und des Pianoakkordeons. 1822 erfand der deutsche Instrumentenbauer Christian Friedrich Buschmann die Hand-Aeoline und ging damit 1829 auf Tournee. In der Folge konnte der Wiener Orgel- und Klaviermacher Cyrillus Damian 1829 für das erste Instrument unter dem Namen Accordion ein fünfjähriges Privileg erwerben, und zur selben Zeit trat die Mundharmonika unter der Bezeichnung Aeoline ihren Siegeszug an. 1829 wurde die Konzertina erfunden, 1840 das Bandoneon und 1849 die chromatische Harmonika (oder auch: Knopfgriffakkordeon) mit getrenntem Bass- und Diskantteil durch den Wiener Christian Steinkellner.

Zum Unterschied von chromatischen und diatonischen Harmonikas:
Die Steirische Harmonika etwa ist ein diatonisches, wechseltöniges Zuginstrument, d.h. auf Zug und Druck erklingen verschiedene Töne: Im Zudruck erklingen die Dreiklangstöne der jeweiligen Tonart, (Dur-Dreiklang der Tonika,) im Aufzug erklingen die dazwischen liegenden Töne (zugehöriger Dominant-Sept-Akkord).  Das Wort „Steirisch“ hat nur wenig mit dem Land Steiermark zu tun. Diese Bauart des Akkordeons wurde in Wien erfunden. Durch den diatonischen Aufbau ist sie besonders geeignet, alpenländische Volksmusik zu spielen, diese Musik wurde in Wien „steirisch“ genannt als Synonym für ländliche Musik, und daher wurde das neue Instrument Steirische genannt.
Die Wiener Knopfharmonika hingegen ist ein chromatisches, gleichtöniges Zuginstrument. Auf Ziehen und Drücken ertönt je Knopf derselbe Ton. Der Bass jedoch, der bei vielen Knopfharmonikas ausgebaut wird, ist meist wechseltönig (diatonisch) geblieben. Er ist in der Wiener Musik nicht so wichtig, da die Knopfharmonika meist mit der Kontragitarre zusammen gespielt wird und diese die Bassfunktion übernimmt.

1862 ist das Geburtsjahr der Wiener (chromatischen) Knopfharmonika. Johann Klein baute eine Harmonika mit verdeckten Diskantklappen, die unter einer Blende verborgen waren. Mit dieser sogenannten Resonanzfalle konnte man einen runden, lieblichen und doch kräftigen Ton erzielen, der noch heute typisch ist für diese Harmonikabauart, die später mit ihrem Einsatz im legendären Schrammelquartett ihren Beinamen „Schrammelharmonika“ erhalten hat. Den Instrumentenbauern war es gelungen, den Wunsch vieler Musikanten nach einem Instrument zu erfüllen, das weit über die beschränkte Musizierweise eines bis dahin üblichen diatonischen Instruments hinausging. Das war auch dringend notwendig, um die komplexe Wiener Harmonik und Chromatik spielen zu können. Bei der dreihreihigen Harmonika sind komplizierte Akkorde kein Problem, außerdem bietet die enge Lage der Reihen eine bis zu drei Oktaven umfassende Grifflage. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es bereits hervorragende Virtuosen auf dem Instrument, heute wissen wir von einigen wie Walther Soyka, Patrick Rutka (Rutka.Steurer, ehemals 16er Buam), Marko Živadinović (Roland Neuwirth & Extremschrammeln), Ingrid Eder (attensam quartett) oder neuerdings Helmut Stippich (Mischwerk).

Wie andere Handzuginstrumente besteht auch die Wiener Knopfharmonika aus zwei Teilen (Diskant- und Bassteil), die durch einen Balg miteinander verbunden sind. Durch das Auseinanderziehen und Zusammendrücken der beiden Teile wird die Luft im Balg durch die Stimmstöcke in den beiden Seitenteilen geführt und der Ton erzeugt. Die erste Schrammelharmonika hatte 52 chromatische Diskantknöpfe in drei Reihen angeordnet (kleine Terzabstände) und 12 diatonische Bassknöpfe.

1891 starb Georg Dänzer, der exzellente Klarinettist des Quartetts der Brüder Schrammel. Die Klarinette war schon seit längerem aus der Mode gekommen, und einen würdigen Nachfolger Dänzers fanden Johann und Josef Schrammel nicht. Sie baten den Harmonikaspieler Anton Ernst, ein Cousin von Johann Schrammels Frau, Dänzer zu ersetzen. Anton Ernst spielte eine 52-knöpfige, chromatische Knopfharmonika von Karl Budowitz, einem der bekanntesten Harmonikabauer Wiens.Von Anton Ernst sind mehrere sehr gute Quartett-Arrangements und eine Harmonikaschule erhalten. Die vier Jahre bis zur Auflösung des Schrammelquartetts (1893 Tod von Johann, 1895 Tod von Josef Schrammel) reichten aus, die chromatische, zu extremer Dynamik fähige Knopfharmonika dauerhaft als „Schrammelharmonika“ in die Geschichte eingegehen zu lassen. In kürzester Zeit etablierte sich also die Besetzung zwei Geigen, Harmonika und Kontragitarre als Schrammel-Quartett. Mit der dazugehörigen Schrammelmusik ist es bis heute kammermusikalische Tradition in Wien. Der Ursprung dieser Besetzungsform ist sicher früher anzusetzen, da Georg Dänzer selbst bereits 1882 im Quartett mit Geige, Kontragitarre und Harmonika spielte.

In Wien bezeichnet man das chromatische Knopfgriffakkordeon (in B-Lage mit diatonischen Bässen) auch liebevoll als die Knöpferl, oder – wissenschaftlich exakter – auch Budowitzer. Karl Budowitz, ein aus Brünn eingewanderter Instrumentenbauer, baute im Zeitraum von 1882 bis 1925 etliche solcher Instrumente, von denen viele noch erhalten und tadellos spielbar sind. Er wird als Erfinder des chromatischen Basssystems bezeichnet. Matthäus Bauer hatte bereits seit 1836 Harmonikas gefertigt und war Ahnherr einer über viele Generationen tätigen Firma, die 1960 von Hugo Stelzhammer (heute: Klaviere) gekauft wurde. Eine ähnlich traditionsreiche Dynastie von Harmonikaerzeugern geht auf Rudolf Pick zurück.
Weiters können genannt werden: Josef Reisinger, Franz Hochholzer, Johann Nepomuk Trimmel, Thomas Valasek und Regelstein & Raab. In Wien bildeten Josef Barton, bis etwa 1954 Franz Kuritka (Lehrling und Nachfolger von Regelstein & Raab) sowie Karl Macourek die letzten Generation der Wiener Harmonikamacher. Noch als 77-jähriger (2005) baute Karl Macourek Harmonikas. Er war viel Jahre Praxis- und Theorielehrer an der Berufsschule für Zuginstrumente in Wien.

Heute existieren in Österreich drei Firmen, die meist diatonische Harmonikas bauen. In den letzten Jahren nahm das Interesse an solchen Instrumenten, aber auch an der Schrammelharmonika wieder zu und alte Stücke werden liebevoll restauriert und musikalisch eingesetzt. Der Laxenburger Harmonikabauer Ernst Spirk (Harmonikastudio Pekarek) und Knöpferlspieler Patrick Rutka haben 2012 eine neue Schrammelharmonika präsentiert, deren Technik und Bauweise zum Teil verbessert und aktualisiert wurde ( http://www.schrammelharmonika.at).

Im Wiener Volksliedwerk ist 2011 ein Knöpferl-Projekt initiiert worden, in dessen Rahmen alte Instrumente gesammelt und restauriert und anschließend an lernwilligen Nachwuchs verliehen oder verkauft werden (http://www.wvlw.at/ unter: Projekte „Die Knöpferl – Ein typisches Wiener Instrument“).

Andreas Teufel: Die Schrammelharmonika – Instrumentenkunde, Geschichte und Spielweise des chromatischen Wiener Knopfgriffakkordeons, Magisterarbeit, Graz 2006. Download der Arbeit unter http://schrammelharmonika.nonfoodfactory.org/Andreas_Teufel/Andreas_Teufel_DA_2006.pdf ;
Walther Soyka: http://schrammelharmonika.nonfoodfactory.org/geschichte.html