Wiener Walzer

Militärmusik

Volkstanz
burgmusik

Wenn ein Wiener von Weana Tanz spricht, meint er nicht einen Tanz, den Wiener tanzen. Eigentlich teilen die Wirtshaus- und Heurigen-Wiener ihre Instrumentalmusik überhaupt nur in Marsch und Tanz. Damit unterscheidet man eingängige Geradtakter wie eben Märsche von rhythmischen Gebilden im ungeraden Takt. Ein Marsch wird verlangt, wenn die Stimmung angeheizt werden soll, wenn es zu fad ist. Der Marsch kommt aus der Militärmusik, die im 19. Jahrhundert im Zuge der nationalen Identifikation besondere Bedeutung und Beliebtheit erlangte.

Der Krieg passt nicht zur Heurigenseeligkeit. Das Militär – wenn es fesch genug war – und die Militärmusik hingegen fanden breiten Raum im Wienerlied. Hier vor allem das K.u.K. Infanterieregiment No.4, die Hoch- und Deutschmeister. Dass ausgerechnet dieses, als eines von 102 Regimentern der Armee so intensiv besungen wird, erklärt sich folgendermaßen: Wien war ab Mitte des 18. Jahrhunderts Standort und Ergänzungsbezirk dieser 1696 gegründeten Einheit.

Die Edelknaben der Hoch- und Deutschmeister waren also vorwiegend Wiener und eines der vier Hausregimenter der Habsburger. Die fesche Adjustierung (ab 1867: Dunkelblauer Rock zu hellblauer Hose, Aufschläge: hellblau), die zahlreichen Paraden und die Wachablösen bei der Hofburg sowie hohe musikalische Qualität der Deutschmeisterkapelle haben zum Ruhm dieser Formation beigetragen. Neben dem bekannten Deutschmeister-Regiments-Marsch von Wilhelm August Jurek „Wir san vom ka und ka Infanterieregiment, Hoch- und Deutschmeister, nummero vier...“ ist das Lied von Fritz Wolferl Hoch und Splenig nicht zuletzt durch die Interpretation von Maly Nagl im Gedächtnis.

Ursprünglich hatten alle Einheiten des Heeres, d. h. Infanterie, Jäger, Artillerie und Kavallerie ihre Musikbanden. Mit der letzten großen Militärmusik-Reform der Monarchie 1851 wurde die Musik bei den Infanterieregimentern konzentriert. Musikanten wurden bereits mit 15 Jahren als Musikeleven ins Heer aufgenommen. Insgesamt dienten Militärmusiker zumindest etwa 9 Jahre (die allgemeine Wehrpflicht mit einer Dauer von drei Jahren wurde 1868 eingeführt), Zeit genug also für eine solide musikalische Ausbildung.

Die österreichische Militärmusik war international auf höchstem Niveau, stellte mit ihren prachtvollen Uniformen und dem weithin klingenden Spiel von jeher eine optisch-musikalische Attraktion dar und bot zahlreiche Sujets für Malerei, Literatur, Film und Musik. Freiwillig länger Dienende konnten sich dann ihr Regiment aussuchen und wählten zumeist solche, die in größeren Städten stationiert waren. Dies vor allem aus finanziellen Gründen, da Einnahmen aus Konzerten eine ordentliche Dotierung des jeweiligen Musikfonds versprachen, der auch den Musikanten zugute kam. Daraus erklärt sich die besondere Qualität der in Wien, Prag und Budapest stationierten Regimentsmusiken.

Der gefürchtete Musikkritiker Eduard Hanslick schreibt 1886 für das "Kronprinzenwerk" (Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild) in einem Beitrag über die Musik in Wien:
"Dann besitzt Wien seit alter Zeit drei wichtige Elemente populärer Musik, die für das eigenartige Musiktalent der Österreicher sprechen – Elemente, ohne welche eine Schilderung des Wiener Musiklebens gewiß unvollständig bliebe. Das sind die Militärmusik, die Tanzmusik und schließlich die Volkssänger. Die österreichische Militärmusik, wohl die vorzüglichste der Welt, datirt ihren Ruhm nicht erst aus Radetzkys Hauptquartier oder von der Pariser Weltausstellung 1867. Kein Zweifel jedoch, daß mit den unserer Epoche angehörigen Verbesserungen der Blasinstrumente auch die Leistungen der österreichischen Militärmusik noch vollkommener geworden sind. Die friedlichen Eroberungen, welche unsere Armee mit dem Clarinett macht statt mit dem Bajonett, sind wahrlich nicht die letzten. Auf Flügeln der Harmoniemusik ist gar oft schon österreichisches Militär in die Herzen ganzer Bevölkerungen eingezogen. [...] Es gibt keinen Kunstgenuß, der in so hohem Grade demokratisch heißen kann als das Spiel der Militärbanden. Da darf ein Jeder theilnehmen, ohne Eintrittsgeld und Salontoilette - haben doch Tausende von Musikbedürftigen, die weder das Eine, noch das Andere besitzen, sich oft glücklich gefühlt, ihre Concerte unter freiem Himmel zu finden."
Eduard Hanslick: Die Musik in Wien, in: Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild. Auf Anregung und unter Mitwirkung Seiner kaiserlichen und königlichen Hoheit des durchlauchigsten Kronprinzen Erzherzog Rudolf. Wien und Niederösterreich. 1. Abtheilung: Wien, Wien 1886, S. 135 f.

Für Wien besonders bedeutungsvoll wurde, wie gesagt, die Kapelle des K.u.K. Infanterieregimentes Nr.4 unter dessen Kapellmeister Carl Michael Ziehrer, der diese hochwertige und „fesch“ adjustierte musikalische Formation von 1885-1893 leitete und ab 1907 der letzte Hofballmusikdirektor der Monarchie war. Die Deutschmeister wurden nicht erst durch Ernst Marischkas Film (1955) populär, sondern zählten wie die Wäschermädl, mit denen sie zum Fünfkreuzertanz gingen, seit langem zu den beliebtesten Wiener Volksfiguren.

Mit dem Ruf D´ Banda kommt begrüßte „groß und klein“ den Auftritt der Militärmusikkapellen, die für willkommene Abwechslung im Alltagsleben sorgten und die (in der Zeit vor Erfindung des Grammophons) begehrte Live-Musik von hoher Qualität darboten, sei es bei Paraden oder Konzerten. Tatsächlich befand sich im Gefolge stets ein Tross von begeisterten Schusterbuben, Pülchern etc., die den Auftritt der Kapelle nicht zuletzt deshalb zu einem Ereignis werden ließen, weil sie ihre „Tanz“ pfiffen und „den höchsten Pflanz“ rissen, d.h. Witze machten. Carl Lorens hat mit seinem Lied Die Banda kommt! die Stimmung gekonnt dokumentiert:

1) In aller Gottes Fruhr, da geht ´s scho lustig zur,
die Leut´ thun wie die Narr´n akk´rat so umafahr´n.
Es kommt das Militär in Reih und Glied daher,
da gibt ´s a grand Gaude, das waß ma eh.
Z´erst kommen d´ Schusterbuam, sein g´wachsen wie die Ruab´n,
de machen ehrnern Witz, hernach der Weanabitz
der reißt den höchsten Pflanz und pfeift dazu sein Tanz
bis plötzlich All´s verstummt: die Banda kommt.

Ref.: Der Tambour haut in d´ Trommel ein,
auf amal schrei´n die Leut´ Juhe!
De Banda kommt, de Banda kommt,
da gibt ´s a Hetz, a grand Gaude.
Ob groß ob klein, das bleibt sich gleich,
denn Alles rennt am ersten Schlag
der Banda, der Banda, der Banda hinten nach.
T: Carl Lorens, M: Theodor Schild.

Das Wort „Banda“, das im offiziellen Sprachgebrauch der Armee ab 1851 nicht mehr als Bezeichnung für die Militärkapelle verwendet wurde, hielt sich als liebevoller, volkstümlicher Spitzname für die Regimentskapelle. Aus dem Italienischen kommend, verstand man ursprünglich darunter eine kleine Truppe, die unter der „bandiera“ (Fahne) eines Edelmannes, Bischofs oder einer Stadt in den Krieg zog. Später agierte eine sog. „banda“ in Venedig und in Rom als kleines, bunt kostümiertes Orchester, das auf der Opernbühne in die Handlung eingriff.

Die Ungarn verwendeten den Ausdruck zunächst für ihre höchstens 50 Mann starken Reitertruppen, dann für die Zigeunerkapelle. In Wien wurde der Begriff zur Zeit Maria Theresias für die Militärkapellen eingeführt, vermutlich weil sie bunt gekleidete, musizierende Truppen waren.

Unter diesen Sammelbegriff fiel auch die Burgmusik: Im Zuge der mittäglichen Wachablöse der im Leopoldinischen Trakt der Hofburg untergebrachten Burgwache gab eine Militärmusikkapelle ein kleines Konzert, das als Burgmusik zahlreiche Zuhörer anlockte.

Edmund Skurawy lobte noch 1925 den Burgmurrer als Wiener Spezialität und betonte, dass es dem Publikum keineswegs einerlei war, ob nun die Zweiunddreißiger, die Fünfundsiebziger oder die Vierundachtziger und Edelknaben mit ihrer Musik aufzogen, immerhin hatte man seine Favoriten...

Viele herausragende Musiker und bedeutende Komponisten waren in der Militärmusik verankert: Philip und Joseph Fahrbach, Karl Komzak, Julius Fucik, Franz Lehár (sen. u. jun.), um nur einige zu nennen. Der städtische Konzertbetrieb der Militärkapellen mit seiner konzertanten Marschmusik stellte eigentlich das Bindeglied zu den Heurigenmärschen dar, die Musik war nun zum Hören, nicht mehr zum Marschieren und Defilieren da.