Volkssänger

Natursänger, Fiaker & Wäschermädel

Der Überlieferung nach ist der Begriff Volkssänger in Wien eng mit dem früheren Kammerdiener und späteren Textdichter und Sänger Johann Baptiste Moser (*1799, †1863) verbunden. Moser, dessen bürgerlicher Nachname Müller war, begann in den 1920er Jahren Szenen für Harfenisten zu schreiben und trat 1829 selber der Harfenistengesellschaft Jonas und Stöckl bei. Ab wann er sich selbstbewusst Volkssänger nannte, wissen wir nicht, das Gründungsdatum seiner eigenen Gesellschaft scheint auch 1829 zu sein. Johann B. Moser schrieb eigene Liedtexte, die weniger zotig und derb waren, als so manche der bis dahin von den Harfenisten gehörten: „Jeder Gebildete konnte diese Abende besuchen, auch Frauen und Mädchen brauchten sich nicht zu schämen, einer Moser’schen Soiree beizuwohnen.
Josef Koller: Das Wiener Volkssängertum in alter und neuer Zeit, Wien 1931, S. 11.

mosersa gesellschaft

Moser stellte in seinem Vortragslokal eine „Pawlatschen“ auf (aus dem Tschechischen pavlač = offener Hauseingang) – eine üblicherweise auf vier Bierfässer gelegte Kellertüre als Bindeglied zwischen Bänkel und Bühne – und führte anstelle des üblichen Absammelns fixe Eintrittspreise ein. Er verbannte die „armselige“ Harfe und verwendete als Begleitinstrument das für die Biedermeierzeit typisch bürgerliche Klavier. Seine Texte waren witzig und sprachgewandt. Spätere Kritiker beanstandeten jedoch seinen pädagogischen Anspruch, das Wienerlied auf ein höheres Niveau zu heben, denn damit beraubte er es seiner einfachen Sprache und des so beliebten zwei- oder auch eindeutigen Inhaltes. Mosers Stil, der anspruchsvoll und belehrend war, kam nach einiger Zeit aus der Mode. Die neuen Publikumslieblinge waren nach 1850 Johann Fürst (*1825, †1882) und Josef Matras (*1832, †1887).

wiener volkssänger
guschlbauerEdmund Guschelbauer

Weitere wichtige Volkssänger waren Anton Amon sen. (*7. Mai 1833, †25. August 1896), Edmund Guschelbauer (*1839, †1912), Carl Lorens (*1851, †1909), Wilhelm Wiesberg (eig. Wilhelm Bergamenter, *1850, †1896), Wenzel Seidl (*1842, †1921) und Josef Koller (*1872, †1945). Aber die bleibende Leistung Mosers bestand in der rechtlichen Verankerung der Volkssängergesellschaften, die 1852 durch einen Erlass der k.u.k. NÖ Statthalterei erfolgte:

„Regelung des Volkssängerwesens: Die Bestimmungen wegen Regelung des Volkssängerwesens im Wiener Polizeirayon sind vorgestern veröffentlicht worden. Nach demselben ist das Befugnis, als Mitglied einer sogenannten Volksänger- oder Harfenistengesellschaft ein Erwerb zu suchen, an den Besitz einer besonderen Lizenz gebunden, welche von der k.k. Stadthauptmannschaft nur solchen Personen ertheilt werden, welche hierher zuständig, zu einem anderen Erwerbe gar nicht oder im geringeren Grade geeignet sind, einige musikalische und sonstige Bildung besitzen und deren unbescholtene Haltung bekannt ist. Der Leiter der Gesellschaft muß wenigstens das 30., jedes andere Mitglied aber wenigstens das 20. Lebensjahr erreicht haben. Die Zahl der Mitglieder darf sich über 4 nicht erstrecken.

Die Mitwirkung weiblicher Individuen wird nicht geduldet. Die Überlassung der Lizenz an andere Personen ist verboten. [...] In das Programm dürfen nur jene Stücke aufgenommen werden, die von der k.k. Stadthauptmannschaft nach genauer Durchsicht und Prüfung der Texte zulässig befunden worden sind. Jede Abweichung von dem Texte wird geahndet werden. Szenische Darstellungen mit Verkleidungen sind untersagt. [...] Die Lizenzen sind nur auf die Dauer eines Jahres giltig und es muß nach Verlauf desselben eine Verlängerung angesucht werden. Übertretungen dieser Anordnungen sowie anstößiges Benehmen bei den Produktionen werden mit Arrest bis zu acht Tagen und nach Umständen mit Einziehung der Lizenz bestraft.“
Friedenszeitung politische und sittliche Bildung des Volkes, Jg.4, Nr.23, Wien 1852.

carl lorensCarl Lorens

Frauen (siehe Volkssängerinnen) war es erst ab 1871 offiziell erlaubt, in Volkssängergesellschaften aufzutreten. Etliche davon waren äußerst erfolgreich und populär wie etwa Antonie Man(n)sfeld (eig. Antonie Montag, *1835, †1875), Fanny Hornischer (eig. Franziska Bauer, *1845, †1911), Anna Ulke (*1849, †1878), Luise Montag (Aloisia Pintzker, *1849, †1927) und die Fiaker-Milli (eig. Emilie Turecek-Pemer, verheiratete Demel, *1848, †1889).

Die Vorschriften zum Volkssängerwesen wurden in der Praxis keineswegs so strikt befolgt, wie man dem rigorosen Text zufolge glauben könnte. Allein die Sängerin Fanny Hornischer ist bereits Jahre vor der offiziellen Zulassung von Frauen auf der Bühne aufgetreten und gründete laut Josef Koller schon 1868 eine eigene Gesellschaft. Außerdem war das Einschmuggeln von Sängerinnen nicht besonders schwer, da szenische Darstellungen mit entsprechenden Verkleidungen zu den beliebtesten Vortragsnummern gehörten.

Die Auseinandersetzung mit den Natursängern zwischen 1885 und 1890 konnte den Abstieg der Volkssänger und Volkssängerinnen nicht mehr aufhalten: Schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts verloren die Volkssänger an Bedeutung, um nach dem Ersten Weltkrieg vom Kino verdrängt zu werden.