Der Liebe Augustin

Der Werkelmann

Als wohl berühmtester Dudelsackspieler Wiens gilt Der Liebe Augustin, dessen Figur der Wiener Journalist Moritz Bermann 1868 in seinem Buch Alt-Wien in Geschichten und Sagen erschaffen hat. Er verband eine alte Wandersage der Pestzeit, ein bekanntes Volkslied und die historische Person Mark(u)s Augustin. Dieser wurde laut Totenbeschauprotokoll 1643 in Wien geboren, starb 1705 und ist auf dem Wiener Nikolai-Friedhof begraben. Marks Augustin, der Musiker bzw. Sackpfeifer gewesen sein soll (sonst ist von ihm nichts bekannt), wurde zu einer anheimelnden Kunstfigur. Hier die Sage im (Wiener) „Original“:

„In Wien ... hörte man nunmehr kein ander Lied singen, als dieser ist gestorben, dieser stirbt, und jener wird bald sterben, denn in der Stadt waren schon allbereit 300 Häuser gesperret, welche völlig ausgestorben, und ob in beiden Latzareten schon täglich eine große Menge Leuthe begraben worden, so wuchse doch die Zahl der Inficirten darinnen so groß, daß sie sich zuweilen auf die 3000 und mehr Persohnen hinaus erstreckte, so waren umb die gantze Stadt herumb fast alle Lust und Wein-Gärten, Gässen und Straßen mit Toten- und Kranken Leiten angefüllet, ja sogar daß man nicht Leuth genug haben kunte, die Todten unter die Erde zu bringen, und daher es bisweilen geschahe, daß die mit Tode allbereit Hingehenden, auff die Wägen unter die Todten geleget, und mit einander in die hierzu gemachte Gruben geworffen worden, als sie einen Nahmens Augustin, der ein Sack-Pfeiffer gewesen, welcher zwischen der Kais. Burg und St. Ulrich auf selbigem Weg wegen eines starken Rausches gelegen, und geschlaffen hat, begegnet ist, denn dieser Mensch ist von denen Siechknechten ohne einiger Vermerken auf den Wagen, in Ansehung, daß er die böse Krankheit hätte und in Todten-Zügen allbereit begriffen, geladen, nebenst anderen Todten weggeführet und in eine Grube geworffen worden, weilen man aber die Cörper nicht eher mit Erden verschüttet, biß eine Reihe derselben nach der Länge und Breiten völlig vollgewesen, als ist besagter Mensch, nachdem er die gantze Nacht unter den Todten ohne Aufhören geschlaffen, erwacht, nicht wissend, wie ihm geschehen oder wie er möge dahin kommen sein, hat aus der Gruben hervorsteigen wollen, solches aber wegen der Tieffen nicht zuweg bringen können, weßwegen er dann auf den Todten so lang herumb gestiegen und überaus sehr geflucht, gescholten und gesagt hat: wer Teufel ihn dahin mußte gebracht haben, biß endlich mit anbrechenden Sonnenschein die Siechknechte mit todten Leuten sich eingefunden und ihm herausgeholfen haben. So hat ihm dieses Nacht-Lager auch nicht das wenigste geschadet.“
Johann Konstantin Feigius: Wunderbahrer Adlers-Schwung..., Wien 1684, I, S.335f., zit. in: Gustav Gugitz: Die Sagen und Legenden der Stadt Wien, Wien 1952, S. 150f.

Die Geschichte vom Fall in die Pestgrube war 1679 schon verbreitet, in der ein Pfeiffer, in der Pestgrube aus dem Rausch erwachend, durch fortgesetztes Spielen die ihn umgebenden, scheinbar stark betrunken liegenden Gasthausbesucher aufwecken will. Das Volkslied Oh, du lieber Augustin wird gegen 1785 in Wien nachgewiesen und war bereits vorher als Böhmisches Walzerlied weit verbreitet:

Oh, du lieber Augustin
Geld is hin, Mensch is hin,
oh, du lieber Augustin,
alles is hin!
Wollt’ noch vom Geld nix sag’n,
hätt’ i nur ’s Mensch beim Krag’n.
Oh, du lieber Augustin,
alles is hin.
...
Rock ist weg, Stock ist weg,
Augustin liegt im Dreck.
Oh, du lieber Augustin,
alles is weg.

Und selbst das reiche Wien,
hin is wie Augustin.
Weint mit mir im gleichen Sinn,
alles is hin!
Jeder Tag war a Fest,
und was jetzt? Pest, die Pest!
Nur ein groß’ Leichenfest,
Das ist der Rest.

Figur und Legende des „lieben“ Augustins werden bis heute tradiert. Operettenkomponist Leo Fall widmete etwa Augustin ein Bühnenstück (Der liebe Augustin von 1905 mit Alexander Girardi in der Hauptrolle), zahlreiche Couplets und Lieder griffen das Motiv des unverwüstlichen Trinkers auf, Zeitschriften, Kabaretts und sogar die Wiener Straßenzeitung sind nach Augustin benannt. 1908 wurde im 7. Bezirk ein Augustinbrunnen errichtet, eines der ältesten Restaurants Wiens, das „Griechenbeisl“ (1. Bezirk) lockt mit einem riesigen Augustin an der Hausfassade und dem Hinweis „Hier sang sein Lied zum 1. Mal der liebe Augustin“ Touristen aus aller Welt an. Tatsächlich ist das Lied Oh, Du lieber Augustin heute eines der weltweit bekanntesten deutschsprachigen Volkslieder.

vgl. dazu: Gertraud Schaller-Pressler: O, Du lieber Augustin... oder: Ende einer Legende?, in: Wien Musikgeschichte. Volksmusik und Wienerlied, hrsg. von Fritz/Kretschmer, Wien 2006, S. 3-10.