Ludwig Gruber

Franz Paul Fiebrich

Ludwig Gruber (*13.7.1874 in Wien, †18.7.1964 in Wien) wächst im „Volkssängerdörfl” Lerchenfeld auf, damals noch Vorort von Wien und beliebtes Wochenendziel für vergnügungssüchtige Städter. Er gründet in jungen Jahren mit Freunden eine Liebhaberbühne, auf der seine selbstverfassten Stücke aufgeführt werden. Fürstin Wilhelmine von Montleart, eine Gönnerin, die besonders in Ottakring (16. Bezirk) gewirkt hat, ermöglicht ihm durch finanzielle Unterstützung den Besuch des Konservatoriums. Danach geht er als Kapellmeister unter anderem nach Karlsbad und Ungarn. Er schreibt Couplets, Lieder, Symphonien und Singspiele, die er sogar in seiner sechsjährigen sibirischen Gefangenschaft im Ersten Weltkrieg zur Aufführung bringt. Mit 32 Jahren, am 2. Januar 1906, vollendet er sein op.1000: Mei Muatterl war a Weanerin, notiert das Lexikon Österreichischer U-Musik-Komponisten im 20. Jahrhundert. Damit wird er endgültig zum beliebten, sentimentalen Wienerliedkomponisten. Die Texte zu seinen Liedern schreibt er oftmals selber. Mit seinem Vetter Leo Uhl, einem bekannten Volkssänger, gründet er noch vor dem Krieg eine Sommer-Varietébühne, nach dem Krieg widmet er sich insbesondere dem Wienerlied. Darüber hinaus schreibt er eine große Anzahl von Liedern im ländlichen Stil und verwendet auch bekannte volkstümliche Melodien. Gruber ist bei der Zusammenstellung und der Herausgabe des zweiten und dritten Bandes der Kremser Alben, einer sehr wichtigen Edition von Wiener Liedern und Tänzen, die nach Eduard Kremser benannt sind, beteiligt. Eduard Kremser lobt Gruber als fleißigen Mitarbeiter.

Von besonderem Interesse sind Grubers Erlebnisse in der sibirischen Kriegsgefangenschaft, die zeigen, wie musikalische Begeisterung auch schwierige Situationen meistert. Er wurde bereits im November 1914 gefangen genommen und nach Sibirien deportiert. Hier folgt eine persönliche Darstellung seiner Erlebnisse:

„Wir waren am Marsch von den Karpathen durch ganz Galizien bis an die russische Grenze Radsiwilow. Immer zu Fuß. Nur sehr schwer Verwundete durften fahren oder reiten. Von Kosaken bewacht, vor Durst und Hunger schmachtend, die brennend matten Füße im Steppensand Galiziens schleppend, so krochen wir mit hängenden Köpfen und matten Blicken dahin. Es war in der Nähe von Stary Sambor.
Eine öde unendliche Landstraße. Dann und wann Ruinen zerschossener Häuser, abgebrannter Kirchen und so weiter. Auf einer langen Landstraße, die die unsere kreuzte, kam ein Zug russischer Soldaten, die jedenfalls auf Plünderung waren, vorüber. Hochaufgeschichtete Wagen führten sie, darauf alles erdenkliche: Mehl; Fleisch, lebende Tiere, Porzellangeschirr und obenauf ein spielendes Grammophon. Ich war ganz apathisch, sah und hörte von dem allen nichts, erst durch Zupfen, Stoßen und Anrufen meines Kriegskameraden Neusser, eines Liedersängers und Verehrers meiner Lieder, wurde ich auf die wilde Schar aufmerksam und da hörte ich, wie das Grammophon meinen bekannten ‚Alpenliedermarsch‘ spielte.

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Das war der letzte Gruß eines meiner Musenkinder ins ferne Sibirien hinein. In Piestschanka bei Tschita angekommen, sah es sehr traurig aus. Kalte Baracken, 45 Grad Kälte. Wenig Nahrung und Kleidung. Als wir uns das Notdürftigste durch Arbeit verdient oder erbettelt hatten, kam schön langsam wieder der Wiener Humor zum Vorschein. Mit dem Federmesser wurde eine Geige und eine Guitarre geschnitzt, bald konnte mit dieser grandiosen Besetzung das erste Konzert stattfinden. Einige Deutschmeister, darunter mein nachmaliger Regisseur Ludwig Klarer, waren die ersten, die Leben in die Bude brachten. Ein Wiener Tramwaykondukteur, Wilhelm Schwarzer, baute sich eine Zither, nun war das ‚Orchester‘ schon stärker. Ich schrieb Gelegenheitslieder und arrangierte bekannte Wiener Weisen.
Im Freien entstand zwischen zwei Birkenstämmen ein ‚Kaffeehausgarten‘, ein Ofen aus Lehm und alten Ziegeln, das Geschirr aus alten Konservenbüchsen, der Kaffee gebrannter Brotrinde, das Glas zwei Kopeken. Bei diesen ‚Kaffeekonzerten‘ trafen sich Stabsoffiziere wie Mannschaftspersonen und waren auf ein Stündchen glücklich beim Klang der Wiener Musik. Ich bekam Verbindung zu höheren russischen Offizieren, erteilte in ihren Häusern Unterricht und somit erhielt ich auch die Bewilligung, aus einer Baracke ein Lagertheater bauen zu dürfen. Ein Orchester wurde gegründet. Musikalische Werke und bekannte Operetten arrangiert. Zwei ausgezeichnete junge Musiker, der Korrepetitor Rettich und ein Musikfeldwebel Hertel, beide selbst Komponisten, halfen eifrig mit, das Tschitaer Musikleben auf eine hohe Stufe zu heben. Ich schrieb ein großes Potpuorri im Stile des Ziehrer’schen ‚Traum des Reservisten‘, unter dem Titel ‚Traum eines kriegsgefangenen Wieners‘. Die darin vorkommenden Weisen von Eysler, Lehár, Ziehrer, Strauß, Prechtl, Kronegger, Leicht und vielen anderen unserer Wiener Tondichter und Lieblinge elektrisierten die armen heimatfernen Menschen, gaben ihnen neues Leben, die Wiener Musik hatte ihren heiligsten Zweck erfüllt.
Die Russen wurden von der geheimnisvollen Macht des Wiener Liedes und der herzbewegenden Wiener Musik gar bald mächtig angelockt. In Privatzirkeln, wo ich spielte, musste ich Wiener Lieder singen und ich tat dies in hochdeutscher Anlehnung, den Dialekt möglichst vermeidend, um den deutschsprechenden Russen auch die Worte verständlich zu machen, und hatte große Freude, zu sehen, wie schnell sich unser liebes Wienerlied in die sibirischen Herzen hineinzuschmeicheln verstand.
Ein Wienerabend ‚So grüßt Wien‘, der durchaus Tonwerke unserer Wiener Meister Schubert, Strauß, Ziehrer u.v.a. brachte und zu dem ich ein echt wienerisches Singspiel ‚Die Fiakermilli‘ schrieb, machte derart Furore, dass man in den Lagern Tschita bis Omsk noch lange Zeit davon sprach. An diesem Abend saßen alle Offiziere und junge Krieger dort, die sich herzlich ausweinten, als ihnen der Strom der heimischen Melodien ihr Innerstes erschütterte und bewegte. Aber auch höhere österreichische Musik führte ich den Russen zu Gemüte und für die Interpretation Mozartischer Sonaten waren sie besonders empfänglich und dankbar.”

Ludwig Gruber, in: R. H. Dietrich’s Wiener Volkskunst-Almanach, Wien o.J. [um 1930].

Berühmte Kompositionen von Ludwig Gruber:

Mei Muatterl war a Weanerin
’s ist mir heut noch in Erinn’rung...
T & M: Ludwig Gruber, 1906.

Es wird ein Wein sein oder s’ wird schöne Maderln geb’n
Wenn wir heut so lustig beinander no san...
T: Josef Hornig, M: Ludwig Gruber, vor 1908.

’S Haneferl
A Haneferl zwitschert am Bam...
T: Eduard Merkt, M: Ludwig Gruber.

Die alte Uhr
In der Witwe ihrem Zimmer...
T: Martin Schenk, M: Ludwig Gruber.

Eine Landpartie mit ’n Zeiserlwagen
Wia fesch war ’s und lustig in früheren Jahr’n...
T & M: Ludwig Gruber.

Jetzt spielts ma an Tanz, dass ’s ma allweil guat geht
Es is Assentierung, der Schurl kummt dran...
T & M: Ludwig Gruber.