Bänkelsang

Texte: Gertraud Schaller-Pressler

In früheren Jahrhunderten waren auf den Jahrmärkten, Kirtagen und in Wallfahrtsorten die Bänkelsänger unterwegs. Sie stellten sich auf ein erhöhtes Podest, eine Art Bank (deshalb auch die Bezeichnung "Bänkel"), um besser gesehen zu werden. Von weitem war auch ihr "Schild" zu sehen: eine grell bemalte Leinwand, die wie ein Comic eine Geschichte erzählte. Diese Geschichten handelten meist von Wunderereignissen, Naturkatastrophen, Familientragödien, Mord und anderen Dingen, die die Menschen aufwühlen, aber auch belehren sollten.
Da die Menschen früher nur wenige Bilder zu Gesicht bekamen und viele auch nicht lesen konnten, waren sie umso begieriger, etwas Neues zu hören. Die Bilderszenen waren aber nicht in der richtigen Reihenfolge angebracht, sondern wurden erst allmählich vom Bänkelsänger erklärt. Dabei zeigte er mit einem langen Stab auf das jeweilige Bild. Die Geschichte sang der Bänkelsänger den Zuhörern vor. Eine Fiedel, Harfe, Drehorgel oder Drehleier begleitete ihn oft dabei. Die Familie des Bänkelsängers, das heißt seine Frau und seine Kinder, verkauften inzwischen die Papierblätter ("Flugblätter") mit den jeweiligen Geschichten. So hatten die Leute auch daheim etwas zum Staunen und Lesen.

Kaufrufer

Früher herrschte in den Gassen Alt-Wiens ein dichtes Gedränge. Aus allen Teilen der Monarchie strömten Verkäufer mit ihren Waren, die sie lautstark anboten. Manche Rufe wurden wie kleine Lieder gesungen - um die Stimme zu schonen und trotzdem gehört zu werden. Auch Kinder mußten sich so ihren Lebensunterhalt verdienen: Der Radibua verkaufte Rettich und rief: "Rrrrrrrrrrrradi!", der Brezelbub mußte selbst bei eiskaltem Wetter auf der Straße seine Waren anbieten, die "Fliagnfangabuam" fingen Fliegen gegen Geld und die Blumenmädchen zogen mit vollen Körben durch die Gassen.

Liederweiber

Die Liederweiber verkauften in Wien Flugblätter (das sind kleine gefaltete Papierzettel) mit verschiedensten Liedern. Da der Notendruck aber sehr teuer war, war lange Zeit (bis ca. 1860) nur der Titel der jeweiligen Melodie vermerkt. Damit die Leute nun wußten, was sie zum Text singen sollten, sang das Liederweib den Kunden die Melodie vor, damit sie sie lernen konnten.

Der liebe Augustin

Die Legende vom "Lieben Augustin" erzählt von einem Dudelsackspieler, der 1679 in einer Pestgrube übernachtet hatte und am nächsten Tag wieder unbeschadet daraus hervorstieg. Von ihm soll das Lied "O du lieber Augustin, alles ist hin" sein. Ob das stimmt, ist fraglich. Denn es wurde erst viel später in Wien bekannt. Aber der "liebe Augustin" ist die beliebteste Sagenfigur Wiens und fast so etwas wie ein Maskottchen für alle, die meinen: "Ein echter Wiener geht nicht unter".

Drehleier

Die Drehleier gehört zu den Bordunmusikinstrumenten. Der Begriff Bordun ist seit dem Mittelalter bekannt und bezeichnet einen brummenden Baßton. Bei Dudelsack und Drehleier hört man gut den tiefen, gleichbleibenden, liegenden Baßton. Man verwendetete die Drehleier gerne zur Liedbegleitung oder als Tanzmusikinstrument

Zither

Früher gab es viele Zitherspieler in Wien. Sie spielten in den Wirtshäusern am Spittelberg oder in den sogenannten Praterhütten. Heute hört man kaum mehr einen Zitherspieler beim Heurigen.
Als Anton Karas (1906-1985) vom Regisseur Caroll Reed 1948 entdeckt und für den Film "Der dritte Mann" engagiert wurde, ahnte niemand, daß diese Melodie weltberühmt werden sollte. Am wenigsten Karas selbst. Plötzlich wollten auch in Wien so viele Menschen das Zitherspielen lernen, daß es bald zuwenige Lehrer dafür gab.

Werkelmann

Als Werkelmann wird in Wien der Drehorgelspieler bezeichnet. "Werkl" meint dabei ein kleines Orgelwerk. Unter Kaiserin Maria Theresia wurde eine Lizenz für Kriegsinvalide eingeführt: das heißt, Einarmige, Blinde, Einbeinige und andere Kriegsversehrte erhielten eine kleine Drehorgel, damit sie sich damit ihren Lebensunterhalt für sich und ihre Familie verdienen konnten. Im Jahr 1838 gab es in Wien an die 800 (!) Werkelmänner. Sie machten viele Melodien (z.B. aus Operetten) im ganzen Volk populär.

Harfenisten

Auf den Straßen und in den Hinterhöfen waren auch viele Harfenisten und Harfenistinnen unterwegs. Viele von ihnen waren blind. Sie sangen selbst oder begleiteten einen Sänger auf ihrem Instrument. Ihre Lieder waren meist lustig, manchmal aber auch grob und derb. Deshalb bekamen sie Probleme. Denn ein gewisser Herr Johann Baptist Moser versuchte ihnen das Leben schwer zu machen.

Johann Baptist Moser

Johann Baptist Moser versuchte 1828, das Harfenistenwesen zu reformieren. Ihm waren die Texte und Lieder viel zu primitiv. In Zusammenarbeit mit der Polizei bestimmte er, wer die Erlaubnis zum öffentlichen Musizieren erhalten sollte. Die Harfe wurde durch das Klavier ersetzt und das Geldabsammeln mit dem Teller verboten, stattdessen verlangte man ein fixes Eintrittsgeld. Die Sänger durften sich nun als "Volkssänger" bezeichnen.

Volkssänger

Die Volkssänger waren seit 1852 ein anerkannter Berufsstand. Sie durften aber nur in schwarzer Kleidung auf der Bühne singen und sich nicht wie die Theaterschauspieler Kostüme anziehen. Weiters hatten sie mindestens 20 Jahre alt zu sein. Der Leiter oder Chef der Gruppe mußte sogar über 30 Jahre alt sein und eine polizeiliche Erlaubnis haben. Außerdem durften die Programme nicht länger als bis 23 Uhr dauern. Das erschwerte den Volkssängern und Volkssängerinnen das Leben, denn die Konkurrenz durch die Theater war sehr groß. Erst Jahre später wurden die Vorschriften gelockert.

Volkssängerinnen

Die Volkssängerinnen waren sehr beliebt und wurden von ihren Verehrern mit großen Geschenken überhäuft: Wagen, Pferde, Brillanten... Dennoch sind viele Frauen, die einmal Stars waren, vereinsamt und verarmt gestorben. Der Beruf war sehr gesundheitsschädlich: Immerhin mußte Nacht für Nacht in verrauchten Lokalen oft bis zur völligen Erschöpfung gesungen werden.Um hier zu helfen, gründete man schließlich wohltätige Vereine.
Frauen durften erst ab 1871 öffentlich auftreten. Meist trugen sie hochgeschlossene schwarze Kleidung. Eine jedoch nicht: die Fiakermill

Fiakermilli

Die Fiakermilli lebte von 1848 bis 1889 und hieß eigentlich Emilie Turecek. Ihr Mädchenname war Pem(m)er. Sie trat in einem hübschen Reitkostüm auf, das sie aber von der Polizei bewilligen lassen mußte.

Duettisten

In der Wienermusik gibt es nicht nur einzelne Interpreten wie etwa die Fiakermilli, sondern auch viele Gesangspaare, Duettisten genannt. Das zweistimmige Singen ist für Wien besonders typisch.

Musik- und Gesangsstil
Besondere Kennzeichen der Wienermusik sind reiche Chromatik, d.h. viele Halbtonschritte, und eine reiche Harmonik. Beim Singen fallen die vielen Tempoveränderungen auf: je nachdem, was er gerade singt, wird der Sänger langsamer oder schneller. Manchmal unterbricht er das Singen überhaupt und macht eine kleine Pause. Damit will er beim Zuhörer eine Spannung erzeugen: Er möchte die Geschichte, die das Lied bringt, möglichst gut und deutlich erzählen.

Dudeln

In Wien wird das Jodeln Dudeln genannt. Durch die Nähe zum Bühnengesang und zur Kunstmusik wurde es im Lauf der Zeit etwas kunstvoller und verzierter als der alpenländische Jodler. Und es verlangt viel von der Stimme. Trude Mally etwa (1928-2009) hatte das Dudeln von ihrer Tante Adi Rothmayer gelernt und trat mit dieser bereits als Zehnjährige auf. Viele bezeichneten sie damals als Wunderkind, weil sie so gut sang.

"Ländlich"

Um 1820 brachen Tiroler aus dem Zillertal auf, um der Not daheim zu entrinnen und sich mit ihrem Gesang anderswo Geld zu verdienen. Die Steirer machten es ihnen nach. So zogen Folkloregruppen als "Tiroler Nationalsänger" und "Steyrische Alpensänger" durch die Lande und kamen sogar bis nach Amerika. In Wien war man von den singenden und jodelnden Trachtenträgern begeistert. Und schon bald verkleideten sich auch Wiener Sänger und Sängerinnen mit Tracht. Die jungen Burschen trugen besonders gerne den Tirolerhut, weil er für den damaligen Geschmack "cool" ausschaute. Und man begann immer mehr zu jodeln, ja eigentlich zu "dudeln".

Theaterlied

Zwischen dem Theater und dem Wienerlied gibt es viele Querverbindungen. In Theaterstücken brachte man gerne beliebte Typen des Wiener Volkslebens auf die Bühne: z.B. Harfenisten, Kaufrufer oder Werkelmänner. Lieder, die durch das Theater bekannt wurden, fanden wiederum den Weg ins Volk. Sie wurden so viel gesungen, daß man bald schon annahm, es wäre immer ein Volkslied gewesen. So erging es z.B. dem Lied "Mir is alles ans" (=ursprünglich ein Theaterlied).

Alexander Girardi

Von Anfang an haben sich auch Schauspieler und Sänger mit geschulter Stimme des Wienerliedes angenommen. Alexander Girardi zum Beispiel.

Alexander Girardi (1850-1918) zählte zu den beliebtesten Schauspielern Wiens. Er war ein Star und wurde auf Schritt und Tritt beobachtet. Schon bald begann man ihn nachzuahmen: seine Art, zu sprechen, zu gehen, sich zu kleiden. Sein Hut, ein flacher Strohhut mit einem schwarzen Band, wurde schließlich zu seinem Markenzeichen. Er sang 1885 bei einem Praterfest zum ersten Mal das "Fiakerlied" von Gustav Pick und machte es berühmt. Heute noch singen viele Schauspieler gerne Wienerlieder.

Schrammelquartett

Zur Besetzung eines Schrammelquartetts gehören folgende Instrumente: 2 Geigen, 1 Kontragitarre und 1 Harmonika (oder eine hohe G-Klarinette). Berühmt wurden die Brüder Johann Schrammel (1850-1893) und Josef Schrammel (1852-1895). Sie waren unglaublich populär, spielten vor Kronprinz Rudolf und machten sogar Tourneen. Ihr Familienname bezeichnet bis heute diese Musizierform. Die Schrammeln brachten zwar Instrumentalmusik, sie traten aber auch gerne mit Dudlern, Paschern, Fiakersängern und Kunstpfeifern auf.

Harmonika
In der Wienermusik wird meist die chromatische Knopfharmonika gespielt: Sie hat statt Tasten Knöpfe und kann chromatische Wendungen gut meistern. Eine Steirische Harmonika wäre dafür nicht geeignet.

Kontragitarre
Die Kontragitarre hat zwei Gitarrenhälse: einen mit Bünden wie die gewöhnliche Gitarre und einen ohne Bünde: hier befinden sich die tiefen Baßtöne.

G-Klarinette
Die G-Klarinette wurde in Wien auch "picksüaßes Hölzl" genannt, weil sie so hoch und einschmeichelnd-lustig klingt. Sie wird auch heute noch gespielt.

Pascher
Paschen meint Klatschen. Früher hat man bei besonders rhythmischen Stellen mitgeklatscht. Manche Leute konnten das so gut, daß sie als "Kunstpascher" auftraten, wie etwa die "Pascher-Pepi".

Fiakersänger

Wenn die Schrammeln spielten, standen oft an die 300 Fiaker vor dem Lokal. Die Fiaker waren die Vorläufer der Taxifahrer und warteten auf ihre Herrschaften. So mancher hatte aber auch eine gute Stimme und begann, selbst vor dem Publikum zu singen: z.B. Josef Bratfisch, der Leibfiaker von Kronprinz Rudolf. Er wurde, weil er ziemlich dick war, "Nockerl" genannt. Auch die anderen Fiaker hatten Spitznamen. Meist beschrieb man damit ihr Aussehen: der "Hungerl" (er hieß eigentlich Karl Mayerhofer) hatte den Namen von seinem mageren Cousin geerbt, der "Rote mit der Fliegen" wurde wegen seiner roten Haare so genannt.

Kunstpfeifer

Zur Zeit der Brüder Schrammel waren Kunstpfeifer sehr beliebt: Sie konnten die schwierigsten Melodien wie etwa Strauß-Walzer perfekt nachpfeifen. Manchmal glaubten die Zuhörer gar, der Pfeifer hätte eine Lerche in seiner Tasche versteckt, so sehr erinnerte das Pfeifen an den Vogelgesang. Andere konnten Instrumente (Querflöte oder Piccolo) derart naturgetreu nachahmen, daß selbst Musiker keinen Unterschied feststellen konnten. Der bekannteste Kunstpfeifer trat mit den Schrammeln auf und wurde Baron Jean genannt, weil er so elegant wirkte. Sein richtiger Name war Hans Tranquillini. Er war von Beruf ein Fiaker und trat auch vor Kronprinz Rudolf auf.

Packl

Als "Packl" bezeichnet man in Wien einen Harmonikaspieler mit einem Kontragitarristen. Wenn diese beiden im Duo spielen, läßt der Harmonikaspieler die Bässe weg, damit man die Bässe der Kontragitarre besser hören kann.

Instrumentale Gattung: Heurigenmarsch

Der Wiener Heurigenmarsch ist nicht zum Marschieren komponiert, sondern wird beim Heurigen bei Tisch den Gästen vorgespielt. Musikalisch stellt er oft ein Potpourri, d.h. eine Folge von beliebten Wienerliedern dar. Als Vorbild für diese Musikgattung diente die Österreichische Militärmusik.

Die Hoch- und Deutschmeister (vom "k.u.k. Infanterieregiment Nr.4") waren in Wien sehr beliebt. Auch ihre fesche, blaue Uniform wurde überaus bewundert.

"D' Banda kommt!" hieß es, wenn die Militärmusik ausrückte und mit klingendem Spiel schon weithin hörbar war. Bevor Grammophon und Radio erfunden und in allen Haushalten verfügbar waren, war Musik eine Rarität. So ist es durchaus verständlich, daß viele Menschen mit der Musik mitmarschierten. Vor allem Kinder und junge Männer zogen vor der Musikkapelle her und machten mit Späßen auf sich aufmerksam.

Instrumentale Gattung: Walzer

Mit der Aufforderung "Alles Walzer!" wird alljährlich der Wiener Opernball eröffnet. Der Walzer spielt auch in der Wiener Volksmusik eine bedeutende Rolle. Viele Bilder zeigen tanzende Paare, z.B. Wäschermädl mit Deutschmeistern. Wer sich aber früher das Orchester von Johann Strauß nicht leisten konnte, der tanzte seinen Walzer zur Musik des Werkelmannes.

Instrumentale Gattung: Tanz

Wenn ein Schrammelquartett einen "Tanz" spielt, so ist dieser eigentlich nicht zum Tanzen, sondern zum Zuhören bestimmt. Musikalisch erinnert der Tanz oft sehr stark an den Ländler mit seiner Dreiklangszerlegung. Tatsächlich gab es hier Einflüsse durch die sog. "Linzer Geiger".

Instrumentale Gattung: Linzer Geiger

Früher war die Donau der wichtigste Handelsweg von Westösterreich und Süddeutschland über Wien nach Südosteuropa. Die Frachtschiffe wurden von der Strömung stromabwärts getrieben und stromaufwärts von Pferden oder Ochsen gezogen. Mit diesen Schiffen kamen auch oberösterreichische Musiker nach Wien, die hier "Linzer Geiger" genannt wurden. Sie spielten in der Besetzung 2 Geigen und 1 Bassettl (=kleiner Kontrabaß). Der "Landler", aus dem sich der Walzer entwickelte, war ihre Spezialität.

Instrumentale Gattung: Polka

Die Polka (im Zweivierteltakt) wurde durch böhmische Musikanten nach Wien gebracht und zählte auch hier zu den beliebten Tänzen.

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