Musik im Gasthaus

von Herbert Zotti und Susanne Schedtler

Bevor wir in das eigentliche Thema eintauchen, erscheint es sinnvoll etwas über die Freizeitgestaltung und damit verbunden die Unterhaltung, ihre Möglichkeiten und ihr Umfeld nachzudenken. Wir möchten in diesem Beitrag die Entwicklung ab dem Vormärz (1815 - 1848) darstellen, also jener Zeit, die man später Biedermeier nannte. Bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann mit der Industrialisierung eine bedeutende Umwälzung der Gesellschaft. Die Arbeiterklasse musste bis zu 12, 14 oder 16 Stunden an 6 Tagen der Woche arbeiten. Das war nicht die eigentliche Klientel der Wirtshäuser. Demgegenüber stand der Aufschwung des Bürgertums in einer großen Bandbreite von Unternehmern, Beamten, Ärzten, Juristen, Künstlern, Soldaten, Händlern, Gewerbetreibenden, Handwerkern, Studenten bis hin zu den Wäschermädeln und Fiakern, die für unser Thema einige Bedeutung haben. Die Vormachtstellung von Adel und Kirche in der Gesellschaft begann zu verblassen. Träger der Wirtshauskultur des 19. Jahrhunderts war also vorwiegend das Bürgertum. Durchaus mit Ausnahmen, wie wir sehen werden.


Hier soll vorwiegend die öffentliche (Musik-)Unterhaltung beleuchtet werden. Mitzudenken ist die vor allem im Biedermeier wichtige Musikkultur im privaten Bereich. Was gab es also um 1800 oder überhaupt in der Vor-Tonträger, -Radio, - Kino -und TV -Zeit für „Volksbelustigungen“? Musik mangels technischer Möglichkeiten nur live. Selbst gespielt und gesungen oder eben vorgespielt und vorgesungen. Und das Theater. Die drei großen Volksbühnen Wiens, also das Theater an der Wien, das Leopoldstädter Theater (später Carl-Theater) und die Josefstadt mit ihren großen Bühnenautoren Karl Meisl, Joseph A. Gleich und Adolph Bäuerle und schließlich Ferdinand Raimund und Johann Nestroy spielten hier die herausragende Rolle. Die große Zeit des Wiener Volkstheaters beginnt um 1860, praktisch mit dem Rückzug Nestroys zu verblassen. Aber bereits im November desselben Jahres wird im Carltheater Suppès erste Operette Das Pensionat aufgeführt. Die Operette bzw. Komische Oper stellt die Fortentwicklung des Singspieles dar und beginnt bereits einige Jahre früher in Frankreich mit Jacques Offenbach ihren Siegeszug. Theaterlieder und später Operettenohrwürmer wurden gerne von Straßen- und Volkssängern übernommen und so zu weit verbreiteten „Schlagern“. Ab den 1930er Jahren des 20. Jahrhunderts wird im Wesentlichen der Tonfilm die Rolle des „Volksschauspieles“ übernehmen. Viele der heute bekannten Wienerlieder sind Filmschlager der 1930er bis 60er Jahre. Hier, bei Hans Moser, Paul Hörbiger u.a., finden wir wieder die Komik des Hans Wurst, Kasperls, Staberls und Thaddädls, die uns aus den alten Volkskomödien bekannt ist.


Wichtig für die einfache Bevölkerung waren vor allem die Straßenmusikanten: Harfenisten, Drehleier- und Drehorgelspieler, sowie Bänkelsänger. Dass diese nicht nur Wohlgefallen erregten, zeigt uns ein Bericht des kritischen Schriftstellers Friedrich Schlögl (1821-1892): „Eine Legion Harfenisten (so nannte man damals jeden „Volkssänger“) trieb sich noch in Zwanziger- und Dreißigerjahren in den Häusern herum. Wahrhaft Grauen oder Mitleid erregende Gestalten von dunkelster, oft auch glorioser Vergangenheit, schlichen sie, zerlumpt und zerrissen, mit einer invaliden Harfe armiert, in die Hofräume der bevölkertsten Wohngebäue, ließen sich auf den nächstbesten „Holzstock“ oder auf dem Brunnenkranz nieder und krähten und schnarrten ein Lied, meist fürchterlichen Inhaltes: eine Schauerballade, eine „Moritat“ oder eine schandvolle [...] Cochonnerie […]“.


Das Privileg für die Straßenmusik bekamen vor allem Kriegsinvalide. Die Kriege gegen Napoleon hatten genug davon hinterlassen. Lieder lernen konnte man auch von den Bänkelsängern, die es schon seit dem 16. Jahrhundert auf den Straßen gab. Diese verkauften üblicherweise auch Textblätter ihrer Vortragslieder. Auch Liederhändlerinnen verkauften vor dem geregelten Musikalienverkauf auf der Straße Textblätter und sangen den Kunden die Melodien vor. Erschwingliche Liederblätter mit Noten gab es erst ab etwa 1860. Hoch geschätzt waren die kostenlosen Konzerte der Militärkapellen („Burgmusik“!). Höhepunkte der Unterhaltung stellten die Kirtage dar. Eine besondere Bedeutung spielte der Annenkirtag (26. Juli) in der Brigittenau, damals das größte Volksfest Wiens. Und schließlich der Prater mit seinen Schaubuden, Zirkusvorstellungen, Feuerwerken und Konzertcafés.

Jetzt aber endlich zu den Wirtshäusern. Vorerst noch nicht jene durchstrukturierten Gastronomieanstalten mit Schwemme, Gastzimmer, Extrazimmer und Salon, wie wir diese in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Stadt vorfinden, sondern jene, die man heute als Beiseln bezeichnen würde. Diese waren vorrangiges Ziel der Harfenisten, die dort ihre Lieder vortrugen und dann „absammeln“ gingen. Ferdinand Raimund hat in seiner Gefesselten Phantasie den Harfenisten in der Gestalt des Nachtigall ein Denkmal gesetzt:

1. „Nichts Schöners auf der ganzen Welt
Als wie ein Harfenist,
Wenn er nur seinen Gästen gfällt
Und allweil lustig ist.
Trinkt er sich auch ein Räuschel an,
Dann singt er erst recht frisch,
Und wenn er nimmer singen kann,
So fallt er untern Tisch.
2. Er hat nur für sein Harfen G´fühl,
Sie ist sein Weib sogar,
Die kann er schlagen, wie er will,
Die fahrt ihm nicht in d`Haar.
So singt er sich durchs Leben hin,
Einmal wird alles gar,
Und ist er tot, sagt man von ihm:
Er war ein guter Narr.“


Durchaus üblich war es, dass im Gastraum Instrumente wie Zither oder Gitarre an der Wand hingen, die von den Wirtshausbesuchern auch verwendet werden durften.

Das Aufkommen der Männergesangsvereine bescherte den Wirtshäusern eine weitere musikalische Facette. Der Wiener Männergesangsverein wurde 1843 im Gasthaus zum goldenen Löwen am Heumarkt gegründet. Das war der Startschuss für zahlreiche weitere Gesangsvereine und Liedertafeln. Vereinfacht wurde derartige Gründung durch das Vereinsgesetz von 1867. Gesangs- und Geselligkeitsvereine, Sportvereine, Studentenverbindungen usw. brachten eine gewaltige Umwälzung der Freizeitgestaltung. Ebenso hat der Börsenkrach von 1873 seine Spuren hinterlassen. In einem wehmütigen Rückblick des bekannten Volkssängers Edmund Guschelbauers lesen wir: „Vor’n Dreinundsiebz’gerjahr, [...] da war’s G’schäft a Freud’, an’ Gulden Entrée hat ma zahlt und bummvoll war’s alle Tag; heut’ san die Preise so h’runtergegangen, daß ma oft nur zwanzig Kreuzer verlangen kann und da hat ma nix. Aber i sag’s, die Vereine san schuld d’ran und die Theater!“


Eine besondere Bedeutung spielten die Wirtshäuser und Heurigenschänken der Vororte. Das hatte eigentlich einen ganz profanen Grund: An der Lina (Linienwall), dem heutigen Gürtel, war Zollgrenze, an der ab 1829 die Verzehrsteuer eingehoben wurde. Daher waren Speis & Trank in den Vororten bedeutend billiger als in der Stadt oder den Vorstädten. Also wurde der Sonntag Nachmittag - der Vormittag war für Messe und allenfalls Frühschoppen reserviert - für Ausflüge oder Landpartien genutzt. Besonders beliebt beim weniger betuchten Publikum waren natürlich jene Vororte, die zu Fuß erreichbar waren. Etwa Neulerchenfeld – das „größte Wirthaus des Heiligen Römischen Reiches“. Immerhin hatten dort bereits vor 1800 von den etwa 150 Häusern 103 die Schankgerechtigkeit. Ein Bericht von Hans Normann aus dem Jahr 1832 illustriert uns das Vorortleben eindrucksvoll:

„Das neue Lerchenfeld, zum Unterschiede von der Vorstadt Lerchenfeld so genannt, ist eine Stadt der Wirtshäuser, welche kein Fremder zu besuchen verabsäumen darf, wenn er zur Sommerszeit in der Hauptstadt sich befindet […] Hier und in dem nahen Ottakrüm (Adakling) kann man ein Volksfest mit einer Lebendigkeit begehen sehen, deren auch nur der Wiener alltäglich fähig ist. Vorzüglich merkwürdig ist aber der Sonntag hier. Von drei Uhr nachmittags angefangen strömt eine zahllose Menschenmenge durch die Lerchenfelder Linie hinaus […]. Man übersieht mit einem Male eine Reihe von größeren und kleineren Häusern, aus welchen sämtlich, wie der Wiener zu sagen pflegt, „unser Herrgott die Hand herausstreckt“, d.i. welche durchwegs mit Bier- und Weinzeichen versehen sind. Gegenüber von jedem dieser Häuser befindet sich ein Garten, welcher, mit einer Menge von Bänken und Tischen versehen, bei schönem Wetter eine große Anzahl von Gästen beherbergt. Mitten durch, zwischen Häusern und Gärten, zieht die im elendsten Zustande befindliche Straße, von einer wogenden Volksmasse bedeckt, die hier lustwandelt und rekognosziert, ehe sie sich bequemt, rechts oder links Posto zu nehmen.


Unter Lärm und Musik vergeht der Nachmittag sehr geräuschvoll, die Nacht rückt heran. Bisher unterhielt man sich im traulichen Gespräch, das immer lebhafter wurde; jetzt fängt man zu singen, zu pfeifen, paschen an; und es dauert nun nicht mehr lange, so hört man auch schon Juchezen […]; endlich aber fängt man an nach Hause zu gehen. Unter Jubeln, Lachen und Kirren zieht eine fröhliche, sehr begeisterte Prozession durch die Linie in die Vorstadt, wo dann gewöhnlich noch einmal zu guter letzt eingelehrt wird. […] dann und wann, aber weit seltener als ehemals, hat man sogar das Vergnügen, eine in allen Einzelheiten gewaltig illuminierte Familie „ham geigna“ zu sehen: Ein paar Geiger folgen dem Zuge fröhlich nach und geben das Geleite, indem sie ein paar Ländler oder Diafe Danz vorspielen. Diese Ehre widerfährt aber nur selten einem angesehenen Gast und ist noch mehr auf dem Lande üblich.“


Für unser Thema interessant ist besonders die Erwähnung der „inländischen, steirischen oder Tiroler Bänkelsänger“. Die inländischen Sänger – also Wiener - begegnen uns als Volks- oder Natursänger, wobei erstere ab etwa 1830 in Volkssängergesellschaften organisiert waren. Unorganisierte Sänger und Sängerinnen wurden als Natursänger bezeichnet. Zu ihnen zählten auch etwa Fiaker und Wäschermädeln. Die Tiroler traten häufig als Nationalsänger auf und trugen wie auch die Steirer (Alpensänger) vor allem ländliche Lieder und Jodler, natürlich in ihren „Nationaltrachten“, vor. Einige dieser Gruppen waren auch international tätig und kamen auf ihren Reisen nach Deutschland, England, Russland und nach Amerika.

Bekannt wurden vor allem die Familien Rainer, Strasser und Leo, allesamt aus dem Zillertal. Die Zillertaler waren als Straßenhändler bekannt (Handschuhe, Steinöl...) und verwendeten den Gesang schon frühzeitig als Lockmittel für ihre Kunden. Letztlich wurde das Singen der lukrativere Geschäftszweig und so finden wir das Phänomen alpiner Liedvorträge in den Städten schon weit über 100 Jahre vor der Trapp-Familie. Die Jodler der Nationalsänger, die sich im Lauf der Zeit zu kunstvollen Salonjodlern entwickelten, waren maßgeblich für die Entwicklung des Wiener Dudlers. Das Repertoire der National- und Alpensänger wurde von Wiener Sängern weiter getragen. Trude Mally (1928-2009), die letzte Dudlerin der alten Generation, hatte noch eine Reihe derartiger Lieder in ihrem Repertoire, heute pflegen vor allem die Wienerliedsänger(innen) Agnes Palmisano (*1974) und Rudi Koschelu (*1953) das Liedgut der Wiener Dudler.

Neben den Harfenisten und Sängergruppen finden wir auch noch Instrumentalisten verschiedenster Zusammensetzungen. Bedeutsam sind hier die Linzer Geiger, vorerst Musikanten aus Oberösterreich, die mit den Donauschiffen nach Wien kamen und in Uferwirtshäusern ihre Landler spielten, die an der Wiege der Weana Tanz stehen. Üblicherweise in der Besetzung mit zwei Geigen und einer kleinen Bassgeige, dem Bassettl. Dieses Instrument wurde in Wien dann durch die Kontragitarre ersetzt und das Ensemble mit der G-Klarinette (dem picksüaßen Hölzl) bzw. der chromatischen Knopfharmonika abgerundet. Diese Formation bildete im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts das klassische Schrammelquartett.

Der Besuch entlegener, ebenfalls beliebter Vororte, wie Neuwaldegg oder Dornbach erforderte ein Fahrzeug. Wohlhabendere Bürger benutzten den Fiaker, die einfacheren Leut’ den Zeiserlwagen, der bis zu 12 Personen fasste und deutlich billiger war. Hernals wurde 1865 durch die erste Pferdebahn Wiens erschlossen.

Ein Problem der nächtlichen Unterhaltung und des einigermaßen sicheren Heimweges bereitete die Straßenbeleuchtung. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren in den Vororten nur die Hauptstrassen beleuchtet. Und das mit Öllampen, die rasch verrußten und ohnehin wenig Licht gaben. Für das gesamte Wien inklusive Vorstädten und Vororten standen knapp über 4000 Lampen zur Verfügung. Erst 1912 wurden auch alle Vororte an das Gasnetz angeschlossen (Gesamtbestand: 37.000 Gaslaternen). Im Jahr 2001 gab es vergleichsweise über 241.000 Lampen! So ist es nicht verwunderlich, wenn Johannes Ziegler in seinem Beitrag Die Stille Stadt über den Sonntag Nachmittag berichtet: „Noch ist es leer in der Stadt; aber wie nach der Ebbe, die den Strand verlassen hat, plötzlich eine kleine kräftige Welle heranrollt, als erstes Zeichen der Flut, so kommt, wenn die Sonne niedergeht, der erste Stellwagen voller Menschen von draußen herein. Ihm folgt bald der zweite, der zehnte, der hundertste; dann kommen alle Fiaker, die Einspänner, Scharen von Fußgängern, und es dauert nicht eine halbe Stunde, so ist wieder ein enormes Gewühl in der Stadt und lachende, fröhliche Menschen füllen alle Straßen.[...] Dann mischt sich auch das Abendgeläute von den Türmen aller Kirchen ,in dem Gerassel der Straßen, das nicht eher ein Ende nimmt, als bis alle Wiener und Wienerinnen, froh, den Tag über sich glücklich unterhalten zu haben, ihr munteres Lager aufsuchen.“


Apropos „Lager aufsuchen“: Musik gab es natürlich auch in den Wirtshäusern, in denen Kellnerinnen auch noch andere Tätigkeiten verrichteten. Besonders bekannt waren dafür einschlägige Schenken am Spittelberg, der zwar im Biedermeier schon viel von seinem alten Glanz eingebüßt, aber immer noch einige Anziehungskraft hatte. Ignaz F. Castelli schreibt in einer 1807 stattgefundenen Begebenheit: „Es gab zu jener Zeit in den Vorstädten kleine, unbedeutende Wirtshäuser, von der gemeinen Klasse „Beiseln“ benannt, wo der Wirt hübsche und kecke Mädchen hielt und wo täglich des Abends zwei oder drei Musikanten Tänze aufspielten. Die besuchtesten dieser Kneipen befanden sich auf dem Spittelberg. Da war nun alles dazu eingerichtet, um die Gäste so viel als möglich zu prellen, sie durch Tanz, Trank und durch frivole Liebkosungen den Mädchen in jene Stimmung zu versetzen, in der man nichts mehr schont und die Börse leert.“

Die deftig-pornografischen Lieder, die in diesen Häusern gesungen wurden, zumeist Vierzeiler mit einfacher G’stanzlmelodie, sind unter dem Begriff Spittelberglieder bekannt und von Emil Karl Blümml und Gustav Gugitz als Privatdruck 1924 publiziert worden.

Die eigentlichen Herren der Wirtshausmusik waren die Volkssänger und die Linzer Geiger, die schließlich von den Schrammeln abgelöst wurden. Volkssänger sind übrigens kein Wiener Phänomen. Sie gab es ebenso in München, Berlin, Hamburg, Budapest und vielen anderen Städten, häufig in großer Zahl. So waren etwa in München im Jahr 1905 noch über 800 hauptberufliche Volkssänger gemeldet. Die Pawlatschen bzw. das „Brett’l“ im Gasthaus, wie man in Deutschland sagt, war ihre Bühne. Erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts übersiedeln sie teilweise in Singspielhallen, Etablissements, Revuetheater, ins Café chantant und Kabarett.


Vorstadt- und Vorortlokale

Mit Johann Baptiste Moser (1799-1863) beginnt die Ära der Volkssänger, zumindest benannte er ab 1829, dem Zeitpunkt der Gründung seiner eigenen Gesellschaft, die Zunft der „höhergestellten“ Sänger als solche. Im Vorfeld hatte Moser sich an die Harfenistengesellschaft Jonas angeschlossen, wo er seine ersten Erfolge mit Soloszenen und Liedern feiern konnte. In der Folge entwickelte er sich zu einem Reformator des Harfenistenwesens, indem er das unwürdige Absammeln abstellte und ein festes Entree forderte, die Harfe aus dem Gasthaus verbannte und das Klavier als Begleitinstrument einführte. Die Pawlatschen, die im einfachsten Fall aus vier Bierfässern mit einer oben aufgelegten Kellertüre bestand, wurde die Standardbühne der Volkssänger.

Aus dem Jahr 1845 ist uns ein Abendprogramm J.B. Mosers überliefert, der jeden Tag in einem anderen Gasthaus aufspielte. Darunter war das prominente Vorstadtlokal Zum Grünen Tor in der Lerchenfelderstr. 14 im 8. Bezirk außerhalb der Stadtmauer. Dort haben die beliebtesten Volkssänger und vor allem Volkssängerinnen ihre Glanzzeit erlebt, so etwa Fanny Hornischer (1845-1911), Luise Montag (1849-1927), Antonia Mannsfeld (1835-1875), Wenzel Seidl (1842-1921) und Wilhelm Wiesberg (1850-1896). Wiesberg war nicht nur Volkssänger, sondern auch Lieddichter. Für geringes Entgelt schrieb er auch anderen SängerInnen Couplets und Wienerlieder auf den Leib. Durch die täglichen Auftritte gab es einen großen Bedarf an neuer Literatur, das Wirtshauspublikum war sehr verwöhnt und hatte vor allem Spaß an den Texten Wiesbergs, die gesellschaftliche und politische Neuigkeiten aufs Korn nahmen. Mit Johann Sioly als Komponist (1843-1911) haben die beiden einen Fundus von Liedern hinterlassen, die noch heute lebhaft in Erinnerung sind, wie etwa Das hat kein Goethe g’schrieb’n, das hat ka Schiller dicht ‚ D’Hausherrnsöhnl’n oder Die Mondscheinbrüder.

Die Wirte mussten für die Abhaltung einer Volkssänger-Soiree mindestens 40 Gulden Einnahmen garantieren. Weitere Vorortlokale Mosers waren das Stadtgut Fünfhaus mit seinem riesigen Gastgarten (an Stelle des Friedrichplatzes, 15. Bezirk) und die heute noch existierende [Zur] Brez’n in Neulerchenfeld im 16. Bezirk in der Grundsteingasse 25 (Eingang Brunnengasse). Auch Zum goldenen Pelikan, heute das Weinhaus Sittl, eines der ältesten Wirtshäuser in Neulerchenfeld in der Neulerchenfelderstraße 1 (16. Bez.), war ein beliebtes Volkssängerlokal direkt an der „Linie“. Anfang des 18. Jahrhunderts erbaut, erhielt es 1776 sein heutiges Aussehen. Die Liniengasthäuser waren zu Fuß gut erreichbar und die VolkssängerInnen traten dort fast täglich auf. Freilich war der Besuch eines solchen Vorortlokals für die ärmere Arbeiter- und Handwerkerklasse samt ihren Familien auf den Sonntagnachmittag beschränkt. Während der Woche setzte sich das Publikum eher aus gehobenem Bürgertum und Adel sowie alleinstehenden Kavalieren zusammen, die sich Chancen auf die Gunst einer Wirtshausprimadonna erhofften. Bei Volkssängern, wo die „Zote“ nicht vorherrschte, konnte man auch bürgerliche Familien mit jungen Damen unter den Zuhörern finden, etwa bei den Soireen von Johann Baptiste Moser, der großen Wert auf seine anständigen Vorträge hielt. Allgemein achtete die Volkssängerbranche darauf, in „besseren Gastwirtschaften“ aufzutreten, kleinere Beisel und Heurige gehörten in der Regel nicht dazu.

In den Vororten herrschte mancherorts ein regeres und (oder weil) weniger kontrolliertes Nachtleben als innerhalb der Linie. Die dort stattfindenden Volkssänger-Soireen zog auch Prostituierte an, wie der Amtsarzt Josef Schrank 1886 festhält: „Bei den größeren Heurigenschänken kamen Prostituierte in größerer Anzahl erst nach 10 Uhr Nachts, um welche Zeit sich bereits die Bürgerfamilien aus dem Locale entfernt hatten und blieben bis zur Localsperre, wonach sie dann ihr wüstes Treiben in den Nachtcafès fortsetzten. [...] Bei den Productionen der Volkssänger finden sich häufig Dilettantinnen der Prostitution ein, auch fehlen nicht einige von den öffentlichen Prostituierten.“


Singspielhallen, Kaffeehäuser

Die Volkssängertribünen in den Gasthäusern hatten bis in die 1890er Jahre mehr Zulauf als die öffentlichen Theater, so meint zumindest Eduard Pötzl (1851-1914), ein Wiener Feuilletonist des 19. Jahrhunderts und Meister der Wiener Lokalskizze. Erst mit der „fortschreitenden“ Bildung der unteren Klassen sei es dem Theater gelungen, „den Sinn der Bevölkerung von dem Brett’l abzulenken und dem Theater zuzuwenden. Die Theater standen dazumal häufig leer, während die Volkssänger nicht Plätze genug hatten“.

Nach dem bereits erwähnten Ableben des Alt-Wiener Volkstheaters um 1860 entstanden zahlreiche ambulante und stabile Volkssänger-Singspielhallen, die diese Marktlücke an Unterhaltungskultur nun abdeckten. Die Singspielhallen warfen auch bei vollem Haus nicht immer genug Gewinne ab, dadurch ließen sich jedoch die meisten nicht abschrecken. Anton Amon (1833-1896) hatte etwa 1870 eine ambulante Singspielhallen-Konzession erhalten und konnte damit mehr als vier Leute engagieren und große Komödien aufführen. Diese Singspiel-Gesellschaften spielten meist in größeren Etablissements wie in den Thalia-Sälen in Neulerchenfeld oder im Elterleins Kasino in Hernals. Es gab aber auch feste Singspielhallen, wie das ehemalige Schreiersche Affentheater im Prater, in dem Volkssänger und Schauspieler Johann Fürst (1824-1882) 1862 die neue Singspielhalle Fürst eröffnete. 1865 folgte der Umbau zum Fürsttheater, das in den 1870er Jahren zu den beliebtesten Volksbühnen zählte. Viele Singspielhallen ereilte jedoch nach wenigen Jahren der finanzielle Ruin, das Brett’l im Wirtshaus war dann wieder die Alternative.

1927 wurde das Fürsttheater zum Lustspieltheater umgebaut und beherbergte ab 1929 ein Kino mit bis zu 1000 Plätzen, bis es 1981 abbrannte. Heute heißt dieser Platz gleich am Eingang des Praters (Ausstellungsstraße) Johann Fürst Platz. Ebenfalls in der heutigen Ausstellungsstraße eröffnete Karl Drexler (1833-1883) 1879 eine eigene Singspielhalle. Die Theaterambitionen der schauspielernden Volkssänger führten in vielen Fällen vom Wirtshaus-Brett’l über die Singspielhallen zum richtigen Theater. Ein Beispiel etwa ist Josef Matras (1832-1887), der bis 1856 in J.B. Mosers Gesellschaft engagiert war, sich später mit Johann Fürst assoziierte, um sich dann ab 1863 im Carl-Theater eine „hervorragende Position“ als Komiker zu schaffen.

Ab 1850 gehörten auch Damenkapellen in Österreich und Deutschland zur Unterhaltungskultur; bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges gab es immerhin 283 Damenkapellen im Kaiserreich. Frauen war der Zugang zu Berufsorchestern verwehrt, in den Damenkapellen konnten sie ihre Talente nutzen und Geld verdienen. In Prohaska's Restauration im Wiener Prater spielte um 1903 täglich die zehnköpfige Damenkapelle „G. Richter“ – wahrscheinlich zur Sommerzeit im Gastgarten. In den Wirtshaus-Gärten entlang der Linie wurden ab den 1830er Jahren im Sommer an jedem Sonn- und Feiertag Freiluftkonzerte mit den besten Orchestern der Stadt gegeben. Johann Strauß und Josef Lanner haben im 3000 Personen fassenden Gastgarten des Stadtgut Fünfhaus aufgespielt , oder im Cortischen Kaffehaus im Volksgarten, dem früheren Paradeisgartel. Bereits 1820 richtete der Kaffeesieder Peter Corti dort in einem bestehenden Gasthaus sein erstes Sommercafé ein, dessen Attraktion eine halbkreisförmige Wandelhalle war. Die Gäste konnten dort erstklassige Musik bei Kaffee und Mehlspeise genießen, nicht selten auch eigens für die Lokalität komponierte Uraufführungen. Cortis zweites Kaffeehaus im Volksgarten bildete einen halbkreisförmigen Kolonadenbau, der einen Musikpavillon umschloss.

Als in den 1870er Jahren die Militärkapellen aufkamen, spielten auch diese sonn- und feiertags sowie Donnerstag Abend in den großen Gärten der Gasthäuser und Heurigenschänken. Freilich wurde auch in den kälteren Jahreszeiten musiziert, dafür vergrößerten Gastwirte oftmals ihre Lokale um einen Zubau, in dem Konzerte, Volkssängersoireen und Bälle stattfanden. Aus Mangel an öffentlichen Konzertsälen fungierten auch Kaffeehäuser als Aufführungsstätten für Musik. Johann Strauß Vater und Josef Lanner begannen 1820 im Leopoldstädter Cafe Jüngling (Praterstraße 6) zu spielen und wurden in der Folge von vielen anderen Kaffeehausbesitzern engagiert. Auch die legendären drei Kaffeehäuser in der Prater Hauptallee 4, 9 und 12 hatten Bühnen, davon besaß das Erste Kaffeehaus eine große Musikbühne, auf der im Jahre 1814 Ludwig van Beethoven im Trio auftrat.

In den Prater-Cafés wurde in einem Zeitraum von über 100 Jahren Klassische Musik von Mozart, Beethoven oder Schubert, Wiener Unterhaltungsmusik eines Josef Lanner, Philip Fahrenbach oder Carl Michael Ziehrer geboten, Militärkonzerte und Volkssängersoireen abgehalten oder sogar Operetten aufgeführt. Die Gastwirte bedienten damit die enorme Nachfrage – und zwar aller Gesellschaftsschichten - nach musikalischer Unterhaltungskultur, eine Aufgabe, die heute weitgehend im Bildungsauftrag der öffentlichen Hand ist und hochgradig subventioniert wird. Von finanzieller Förderung konnte damals keine Rede sein, ein Gastwirt oder Singspielhallendirektor musste zusehen, dass sein Betrieb mehr einnahm als er kostete.


Heurigen

Vor der Hernalser- und Lerchenfelderlinie waren einige Heurige oder Buschenschanken angesiedelt, die wie die Gasthäuser große Säle und Gärten besaßen. Der Gschwandner an der Hernalser Hauptstraße bewirtete in seinem berühmten Gartensaal über Jahrzehnte sonn- und feiertags bis zu 1000 Personen. Der 1839 erbaute Saal war der erste, der bei einem Heurigen errichtet wurde. 1846 erweiterte Johann Gschwandner den Saal durch einen Zubau, 1877 errichtete man anstelle des alten einen „modernen Prachtbau“. Dort spielten zwei Musikkappellen, die eine für Tanzmusik, die andere für Konzertmusik. Auch der „Gruber Franzl“ spielte dort in den 1850er Jahren auf seinem picksüaßen Hölzl in einem Quartett in „unerreichter Weise seine Tanz und Jodler“.

Ein anderer großer Heuriger in Hernals war der Stalehner am Alserbach. Er steckte abwechselnd mit dem Gschwandner aus, gewöhnlich im Mai, August und Dezember. Im 1876 erbauten großen Prachtsaal „executierte der treffliche Capellmeister Stoppauer fast ausschließlich echt Wienerische Musik.“ Der Heurige Beim Weigl oder Zum höchsten Heurigen war ebenfalls in Hernals: Auf dem Grund stand früher ein Jagdschlösschen der Kaiserin Maria Theresia. Der Weiglhof hatte die „Gestalt eines reizenden Bauernhofes“ und einen großen Saal. 1886 schreibt Josef Schrank: Dort „producirten sich daselbst die Volkssänger: der blade Binder [Jakob Binder], [Franz] Eckhart und [Franz] Piringer. Später, eigentlich gegenwärtig, rufen denselben Beifall Mirzl und Dreher [Mirzl Moßbrunner und Ferdinand Koblassa], [Edmund] Guschelbauer und [Luise] Montag, [Franz] Kriebaum und [Anton] Nowak hervor.“

Der Nobelheurige Zur güldenen Waldschnepfe in der Dornbacherstr. 88 wurde mit dem Quartett der Gebrüder Schrammel, Dänzer und Strohmeyer zur Legende. In den 1880er Jahren traf sich dort das gehobene Bürgertum, Kronprinz Rudolfs Besuche mit seinem Leibfiaker Josef Bratfisch sind unvergessen. Bis zu 300 Kutschen sollen dort abends gestanden haben. Die dazugehörigen Fiaker waren zum Teil hervorragende Sänger wie Josef Bratfisch (Nockerl), Karl Mayerhofer (Hungerl) oder Johann Hirschmann (Der Rothe mit der Fliag’n); mit ihnen und den DudlerInnen und Kunstpfeifern konnten die Schrammelmusiker das Publikum hinreichend verwöhnen. Diese Sänger nannte man im Gegensatz zu den Volkssängern Natursänger und wenn sie mal nicht dabei waren, kam das Heurigenpublikum nicht in Stimmung: „ Wo nicht gesungen wurde, da gab es keine Hetz“, meinte Carl Lorens, einer der bedeutendsten Volkssänger und Liederdichter seiner Zeit. Das Gebäude der Waldschnepfe stand jahrelang leer und verfiel, zur Zeit wird es restauriert.

Mit der Eingemeindung der Vororte verlieren 1893 die dort angesiedelten Gasthäuser und Heurigenschänke den Vorteil des steuerfreien Verzehrs und Verkaufs von Speisen und Getränken – und damit ihre herausragende Stellung in der Freizeitgestaltung der Wiener. Diese besuchten nun unter anderem Vergnügungsetablissements an der neu angelegten Ringstraße. Diese bittere Erfahrung musste auch Schwenders Colosseum machen. Carl Schwender hatte 1835 in zwei Nebengebäuden des Schlosses der Familie Arnsteiner in der heutigen Schwendergasse (Ecke Arnsteingasse) eine Bierschank und ein Kaffeehaus eröffnet. Sein Geschäft lief so gut, dass er seinen Betrieb ausbauen konnte. In den späten 1860er Jahren nannte er einen ganzen Gebäudekomplex sein Eigen, mit drei Tanzsälen, einem Theater, einer Sängerhalle, einem Hotel und einem großen Kaffeehaus. Korridorbrücken verbanden die einzelnen Gebäudeteile, die auf beiden Seiten der Schwendergasse standen. 1873 sollen zur Weltausstellung mehr als 15.000 Besucher das Schwenders aufgesucht haben. Die großen Orchester der Zeit haben dort gespielt wie jene von Johann Strauß Sohn, Carl M. Ziehrer, Josef Lanner oder den Deutschmeistern. Die VolkssängerInnen traten erst auf, wenn die großen Theater in Wien schlossen. Also ein Eldorado für das bessere Theaterpublikum, aber auch für weniger begüterte Besucher, da Getränke und Speisen in den Bier– und Weinschanken durchaus preiswert waren. Nach 1890 riss der Besucherstrom endgültig ab, 1898 wurde der gesamte Bau abgerissen.

In den 1950er und 60er Jahren hat der Lehrer und Heimatforscher Hans Pemmer (1886-1972) eine ganze Serie von Artikeln über die Wiener Gasthäuser und ihrem regen Musikleben geschrieben. Seine Recherchen über die zahlreichen Volkssängerlokale, VolkssängerInnen, Künstler– und Stammbeisln oder der prächtigen Tanzlokale des 19. Jahrhunderts geben einen unschätzbaren Einblick in die Materie und sind vor allem zeitgeschichtlich hochinteressant.


Einkehrgasthäuser

Die Einkehrgasthäuser an den Endstellen der Stellwagenlinien waren beliebte Ausflugsziele der Wiener und Rastplätze der Frächter und Fahrer. Der Stellwagenbetrieb florierte bis Ende der 1870er Jahre. Nach dem Abflauen des Frächterverkehrs suchten sich bereits Mitte des 19. Jh. die Einkehrgasthäuser neue Verdienstmöglichkeiten. Manche von Ihnen hielten im Vergnügungsbetrieb Ausschau und „öffneten den damals aufkommenden Volkssängern ihre Pforten“.

Fuhr man nach Neuwaldegg, ging man zum Hirsch, Stellwagenstandplätze in Währing waren der Grüne Baum und Zum Schwarzen Adler. An der Ottakringer Endstelle stand der Bisinger, später Spindler. Heute befindet sich in der Ottakringer Str. 266 das Restaurant Grünspan, dessen Bauweise dem alten Gasthaus sehr nahe kommt. Gegenüber stand Heinrich’s Ihl’s Gasthaus, das 1906 Familie Gammer kaufte und in Restauration Bockkeller umbenannte. Der Bockkeller bezog sein Bier aus der Nussdorfer Brauerei (schwarzes Bockbier!), der Bisinger aus der Ottakringer Brauerei. Die Brüder Leopold und Karl Gammer ließen 1906 einen separaten Saalbau neben der Villa errichten. Dieser einstöckige Saalbau wird heute noch als Liebhartstaler Bockkeller bezeichnet und befindet sich in der Gallitzinstr.1/ Ecke Johann Staud Straße. Die größere Villa wurde 1986 abgerissen. Den Gastbetrieb im ‚kleineren’ Bockkeller betrieb Familie Gammer von 1907 bis 1971, der obere Saal wurde bis in die 1950er Jahre für Bälle genutzt, ab 1955 nur noch als Lagerhalle. Nach jahrelangem Leerstand und Verfall des Hauses ist dort seit 1993 das Wiener Volksliedwerk mit Archiv und Veranstaltungssaal angesiedelt. Hier finden seitdem jährlich ca. 40 Konzerte mit traditioneller und neuer wienerischer und österreichischer Volksmusik und Offene Singen statt. Ein wenig ist noch von der ehemaligen Gasthausatmosphäre in dem sehr aufwändig restaurierten, aus mehreren Stilepochen gespeisten Spiegel-Saal zu spüren.

Heinrich Ihl konnte 1901 auf Grund der unmittelbaren Nähe zum Friedhof Ottakring keine Genehmigung für eine musikalische Unterhaltung der Gäste erwirken, erst Karl Gammer jun. (1896-1976) gelang es in den 1930er Jahren immerhin, die Gastzimmer und den Garten täglich mit „Radio –und Schallplattenkonzerten“ mittels einer Lautsprecheranlage zu beschallen. Gemäß „§ 2 des Wiener Theatergesetzes in der Fassung von 1930“ bekam er am 20. Mai 1936 die Erlaubnis, täglich von 8.30 – 23.30 Uhr und im Garten bis 22 Uhr seine Gäste mit den neuesten Schallplatten und Radiokonzerten zu erfreuen. Die Genehmigung für diese „Dauerveranstaltung“ wurde allerdings im Jahr darauf aus Gründen der Pietät eingeschränkt: während der Beerdigungszeiten von 13.30 bis 17 Uhr durfte nun im Garten keine Musik mehr und im Haus nur leise und bei geschlossenen Fenstern gespielt werden. Der Gastwirt führt in einem erbitterten Widerspruch vom 16. November 1937 gegen diesen Bescheid auf, dass auch die Lautsprecheranlagen der gegenüberliegenden Sportplätze und Gastwirtschaft gut hörbar seien:

„Es ist daher leicht möglich, dass die Anreger dieser mich in meiner Existenz schwer treffenden Entscheidung während der Beerdigung einen der anderen Lautsprecheranlagen gehört haben. Außerdem trifft mich das Verbot jedweder Musik, in welches Verbot selbstverständlich auch das Verbot der nach dem Leichenbegängnisse oft Einkehr haltenden Leichmusiken auf das schwerste, da dieselben durch dieses Verbot gezwungen sind, event. in die mir gegenüberliegende Gastwirtschaft einzukehren. Durch all diese Gründe will ich die Beweise erbringen, dass dieses Verbot mich in meiner Existenz auf das schwerste trifft, wenn es mich nicht ganz ruiniert.“

Aus den Unterlagen des Wiener Volksliedwerkes geht nicht hervor, ob der Magistrat die Einschränkung zurückgenommen hat, auf jeden Fall war die Glanzzeit des Gasthauses gegen Ende des Zweiten Weltkrieges vorbei. 1934 arbeiteten noch 16 Kellner in dem bis zu 1500 Personen fassenden Garten, während des Krieges waren noch 1-2 Kellnerinnen beschäftigt. Die unter der Erde verlegten Lautsprecherkabel hinterm Haus wurden übrigens 2006 bei einer neuerlichen Sanierung gefunden: sie schienen noch intakt.


Heute

Öffentliche Konzerte, Tonträger, Theater, Kino und Fernsehen bestimmen nun im wesentlichen das Freizeitverhalten musikinteressierter Menschen. Die Hochzeit der großen Gastgärten und Gasthaus-Tanzsäle ist lange vorbei. Dennoch können wir heute eine beachtliche Zahl von Gasthäusern, Heurigenlokalen und Cafés in Wien und Umgebung finden, in denen, wenn nicht täglich, so doch regelmäßig Wiener Musikanten zur Unterhaltung aufspielen. Darunter fallen nicht nur die großen Heurigen in Grinzing und Neustift, deren Wirte vorwiegend Instrumentalisten für die beachtliche Menge an Touristen engagieren, die dort täglich mit Bussen hingeführt werden. Vor allem in den Außenbezirken kann man immer wieder fündig werden, wenn man Wienerlied und Weana Tanz hören möchte. In dem nach einem berühmten Lied des Malers und Musikers Karl Hodina benannten Heurigenlokal Herrgott aus Sta in der Speckbachergasse 14 (16. Bez.) sang und spielte Hodina bis zu seinem Tod höchstpersönlich zusammen mit Kontragitarrist Rudi Koschelu zweimal im Monat. Überhaupt sind die jour fixes in der Wienerlied-Szene sehr beliebt, jeder Wochentag hat so seinen Ort, fast so wie zu Zeiten der VolkssängerInnen. Die Musik im Wiener Wirtshaus hat überlebt, das Raunzen auch:

A Gfrett is’s auf da Welt

1) Ja wann ma unser Wean betracht, da waars ka Wunda, wann ma lacht. Da Unterschied gegn d frühern Zeit, da hats halt gebm ganz andre Leut. A Kirtag drunt am Schottnfeld, da habms no ghabt a Silbergeld. Die Zwanzger, die san umergflogn. Da Tisch, der hat si bogn. Die Bachhendln, da Guldnwein habm auf kan Tisch net gfehlt. Doch schaut ma heut, wia s zuageh tuat da drent am Schottnfeld: Die reichsten Leut habm Krida gmacht, Fabrikn zugsperrt über d‘ Nacht. Wo d‘ Weber gmacht habm Seidnschal, steht a Versatzamtsfilial. Von d‘ Bachhendln is längst ka Spur. Heut schlickt a jeder hintern Tor a gselchte Blunzn, dass alls hellt. Die Leut habm zwenig Geld...

Refrain:
A Gfrett is’s. A Gfrett is’s.// A Gfrett is’s auf da Welt. A Gfrett is’s. A Gfrett is’s // Die Leut habm gar ka Geld.

2) A Landpartie nach Bratenfurt, da schmeckt der Müllirahmstrud’l guat. War’s Wetter nur a bisserl fein, mit’n Zeiserlwag’n in Wolfsgrab’n nein. Vier Tag hab’m dauert dort die G’stanz, da habm’s blos’n die Schmalhofer Tanz. Vom Trübsalblasen gar ka Spur – s war überall Frohsinn nur. Mit Kind und Kegel san d‘ Leit naus, hab’m glebt in Saus und Braus. Heit fahrt ma mit der Dampftramway nach Bratensee hinaus. Vom guaten Wein is längst ka Spur, an Fensterschwitz, den saufen s‘ nur. Statt harbe Tanz für‘s Herz und Gmüat spielt der Werkelmann das Fischerliad. Statt hamfahrn mit an Zeiserlwagen tuat aner den andern buckelkrax’n trag’n. Und schlaf’n tans im Kukuruzfeld. Die Leut ham z’wenig Geld. [...]


Literaturverzeichnis

Friedrich Schlögl, Zu meiner Zeit, Prag 1944, S. 167
Wienerlied und Weana Tanz, hrsg. von Susanne Schedtler, Wien 2004
Johannes Ziegler, Wiener Stimmungsbilder, Wien 1907, S. 117
Ferdinand Raimund, Die gefesselte Phantasie, 1. Aufzug, 15. Auftritt
Walter Deutsch, Bürgersinn und Aufbegehren. Biedermeier und Vormärz in Wien 1815-1848, Ausstellungskatalog des Historischen Museums der Stadt Wien, Wien 1986, S. 89.
Edmund Guschelbauer, Neues Wiener Journal, 1.2.1903
Vorstädte waren die Orte außerhalb der Stadtmauer, aber innerhalb des Linienwalles. Die Orte außerhalb des Linienwalles wurden als Vororte bezeichnet.
Karl Ziak, Des heiligen Römischen Reiches größtes Wirthaus. Der Wiener Vorort Neulerchenfeld, Wien 1979
< Hans Normann (Peudonym f. Anton Johann Gross-Hoffinger), Österreich, wie es ist, Leipzig und Löwenberg, 1833, in: Fritz Stüber-Gunther, Wien, wie es war, Wien 1920, S. 117 ff.
www.wien.gv.at/licht/gesch.htm
Wiener Stimmungsbilder, S. 77
Ignaz F. Castelli, Memoiren meines Lebens, zitiert in K. Giglleithner u. G.
Litschauer, Der Spittelberg und seine Lieder, Privatdruck, Wien 1924, S.39 unter den Pseudonymen Karl Giglleithner und Gustav Litschauer, vgl. Fußnote 13.
www.valentin-museum.de/volkssaenger.htm
Josef Koller, Das Wiener Volkssängertum in alter und neuer Zeit, Wien 1930, S. 15
1857 wurde begonnen, die Stadtmauer zu schleifen; an ihrer Stelle entstand die Ringstraße. 1850 wurden die Vorstädte (II. – IX. Bezirk) eingemeindet. Das Lokal Zum Grünen Tor gab es noch bis in die 1960er Jahre.
Das Wiener Volkssängertum, S. 25
Josef Schrank, Die Prostitution in Wien, Wien 1886, S. 421
Der ersten Wiener Theaterbauwelle zwischen 1770 und 1800 (Penzinger Theater 1770, Leopoldstädter Theater 1781, Freihaustheater 1787, Josefstadt 1788, Landstraßer Theater 1790, Theater a.d. Wien 1801), folgt eine zweite zwischen 1856 und 1900: Thalia Theater
1856, Hofoper (Staatsoper) 1861/69, Burgtheater 1873/74, Volkstheater 1887/89, Raimundtheater 1893, Volksoper (Kaiser Jubiläums-Stadt-Theater) 1898.
Wienerstadt. Lebensbilder aus der Gegenwart, geschildert von Wiener Schriftstellern, gezeichnet von Muhrbach, Mangold, Basche, Engelhart und Hey. [Eduard Pötzl, Friedrich Schlögl, Marie Wehr, Vincenz Chiavacci u.v.a.], Wien 1895, S. 225
Des Heiligen Römischen Reiches größtes Wirtshaus, S. 105ff.
Nach dem Volkssängergesetz von 1851 durfte eine Gesellschaft nicht mehr als vier Mitglieder haben, vgl. Friedenszeitung für die politische und sittliche Bildung des Volkes, 7. Jänner 1852, Nr.32, Jg. 4
Vgl. Das Wiener Volkssängertum, S. 26, 80 ff.
Vgl. Foto in Das Wiener Volkssängertum, S.81
Das Wiener Volkssängertum, S. 25
Fritz Zoder: Wie es einmal war, in: Rudolfsheim und Fünfhaus. Ein Heimatbuch, hrsg. von Edgar Weyrich, Wien 1922, S. 33
Helmut Kretschmer, Kapuziner, Einspänner, Schalerl Gold. Zur Geschichte der Wiener Kaffeehäuser, in: Wiener Geschichtsblätter, Beiheft 3, Wien 2006, S. 13. Auf einem Teil des Paradeisgartel steht heute das Burgtheater.
Kapuziner, Einspänner, Schalerl Gold, S. 12 ff.
Die Prostitution in Wien, S. 418
ebenda, S. 419
ebenda, S. 420, vgl. auch Das Wiener Volkssängertum, über die hier angesprochenen Volkssängerinnen
Vgl. u.a. Margarete Egger, Die Schrammeln in ihrer Zeit, Wien 1889
Carl Lorens, Der Natursänger, in: Illustriertes Wiener Extrablatt, 7. Juli 1895
Fanny von Arnstein (1758-1818) führte in Wien einen bedeutenden literarischen Salon.
Monika Griebl, Die Region von 1500 bis zur Gegenwart, in: Bezirksmuseum Rudolfsheim. Fünfhaus, Wiener Geschichtsblätter Beiheft 4/ 2006, S. 21 ff.
Hans Pemmer, Streifzug durch ein „nasses Gewerbe“, in: Wiener Zeitung vom 12.02.1950 – 16.07.1950 [Serie in 9 Folgen mit diversen Untertiteln].
Außerdem: Alt- Wiener Volkssänger und Volkssängerlokale, in: Amtsblatt der Stadt Wien, Nr.60 – 63, Juli-August 1960 [Serie in 4 Folgen]. Kommentierter Nachdruck beim Wiener Volksliedwerk erhältlich
Stadtchronik. 2000 Jahre in Daten, Dokumenten und Bildern, hrsg. vom Verlag Christian Brandstätter, Wien 1986, S. 239
Streifzug durch ein „nasses“ Gewerbe, in: Wiener Zeitung, 26.2.1950, S.10 In der Währingerstr. 149 steht heute die Adler Apotheke.
Karl Gammer, Brief an den „Löblichen Wiener Magistrat, Besonderes Stadtamt II, vom 16.11.1937, in: Konvolut „Bockkeller“, Archiv Wiener Volksliedwerk.
A Gfrett is's: Um 1873 (nach der Wirtschaftskrise). Mündlich tradiert, gesungen von Trude Mally und Josef Matauschek, 1985. Aufzeichnung. Franz Fuchs