Projekt zur Wiederbelebung und Talenteförderung
Kein Geringerer als Roland J.L. Neuwirth, die Galionsfigur des modernen Wiener
Liedguts, hat den Anstoß zur Wiederbelebung und Talenteförderung der Wiener
Schrammelharmonika – kurz Knöpferl – gegeben. Seinem unermüdlichen Bestreben
haben wir es zu verdanken, dass dieses typische Wiener Instrument neben der
Kontragitarre wieder verstärkt ins Bewusstsein rückt und ihm in Zukunft ein
angemessener Platz eingeräumt wird. Unter der Patronanz von Roland J.L. Neuwirth
und mit Unterstützung weiterer Förderer und Sponsoren startet das Wiener
Volksliedwerk nun das Projekt „Die Knöpferl – Ein typisches Wiener Instrument“.
Schrammelmusik lässt sich als eine besondere Qualität des Wienerischen
beschreiben, und unsere langjährige Erfahrung und nicht zuletzt das große Interesse
des Publikums haben gezeigt, dass Musikernachwuchs auf der
Schrammelharmonika dringend gefragt ist. Obwohl Schrammelmusik weltweit als
wienerisches Musizieren schlechthin gilt und in der internationalen Wahrnehmung als
auch im Selbstverständnis der Stadt dieses Image verankert liegt, wird bislang weder
die „Knöpferl“ noch die Kontragitarre in einer öffentlichen Einrichtung permanent als
Unterrichtsfach angeboten.
Brillante Spieler wie Walther Soyka, Marko Živadinović, Helmut Stippich oder Patrick
Rutka werden in der Szene sehr bewundert, die Möglichkeit das Instrument zu
lernen, ist allerdings kaum gegeben. Das liegt auch an den besonderen
Instrumenten, die heute kaum mehr hergestellt werden und somit in der Anschaffung
sehr kostenintensiv sind.
Es gibt also viel zu tun, um die Knöpferl wiederzubeleben, geeignete Instrumente
zugänglich zu machen und Nachwuchstalente zu fördern!
Zur Geschichte der Wiener Volksmusik und ihren Instrumenten
Die Wiener Volksmusik erlebte in den letzten Jahren einen wahren Boom. Im
Zeichen und als Antwort auf die Globalisierung besinnen sich wieder öfter auch
jüngere Musikanten in Wien auf eine lokale Tradition, die zwar nicht uralt, aber
mindestens 150 Jahre zurückreicht. Die Betonung auf „jüngere“ Musikanten zeigt die
bisherige Realität: das Wienerlied war ein Genre, das hauptsächlich ältere Menschen
angesprochen hat.
Das Wienerlied nahm um 1850 Gestalt an, das humorvolle Couplet als Spiegel
gesellschaftlicher und sozialpolitischer Ereignisse war noch vorherrschend. Um die
Jahrhundertwende wurde allmählich der „guten alten Zeit“ nachgetrauert und das„goldene Wienerherz“ gar zu ernst genommen: „Eine wehleidige, fade Süßlichkeit
dringt wie Modergeruch in die Texte ein, von denen uns heute einige mit ihren
falschen Gemütstönen ganz unerträglich sind“, schreibt Hermine Cloeter im Wiener
Volkskunstalmanach aus dem Jahre 1925. Die Wehleidigkeit raunzt durch viele
Wienerlieder bis zum heutigen Tag – auch das ist ein Grund, warum die Jugend
keinen rechten Zugang fand. Mit Karl Hodina und dem jungen Roland J. L. Neuwirth
kam bereits in den 1970er Jahren ein frischer Wind daher, aber erst ab Ende der
1990er Jahre ergriff eine größere Anzahl motivierter Musiker und Musikerinnen die
Initiative für eine neue Herangehensweise an das Wienerlied.
Die Strauß-Dynastie und Josef Lanner revolutionierten parallel zur Entwicklung des
Wienerliedes ab den 1830er Jahren mit ihren schwungvollen Tänzen die
Instrumentalmusik und inspirierten in Folge auch zahlreiche Komponisten, den
launigen Liedtexten Walzer und Märsche zugrunde zu legen. Das Quartett der
Brüder Johann und Josef Schrammel vollendete diese Entwicklung zwischen 1884-
1893. Die Schrammeln wurden zu einer Elite-Spezialität der Wiener
Unterhaltungsmusik und noch zu Lebzeiten Legende.
Quartettbesetzungen mit zwei Geigen, Kontragitarre, Klarinette oder später dann
Knopfharmonika nannte man in Wien fortan „Schrammelquartett“, ihr Repertoire aus
Tänzen, Märschen und für Quartett arrangierte Wienerlieder „Schrammelmusik“.
Nach der Erkrankung des Klarinettisten Georg Dänzer im Juni 1891 sprang der
Knopfharmonikaspieler Anton Ernst, ein Cousin der Brüder Schrammel, ein. Die
Besetzungsänderung wurde damals nicht weiter kommentiert, die chromatische, zu
extremer Dynamik fähige Knopfharmonika ist aber dauerhaft als
Schrammelharmonika in die Geschichte eingegangen.
Die Wiener nannten das Instrument aufgrund seiner Knopfgriffreihen bald liebevoll„Die Knöpferl“. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde diese Wiener
Spezialform des dreireihigen, besonders weich klingenden, chromatischen
Knopfgriffakkordeons nach und nach entwickelt. Den Instrumentenbauern war es
gelungen, den Wunsch vieler Musikanten nach einem Instrument zu erfüllen, das
weit über die beschränkte Musizierweise eines bis dahin üblichen diatonischen
Instruments hinausgeht. Das war auch dringend notwendig, um die komplexe Wiener
Harmonik und Chromatik spielen zu können. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es
bereits hervorragende Virtuosen auf dem Instrument, heute wissen wir von einigen
wie Walther Soyka, Patrick Rutka (Rutka.Steurer, ehemals 16er Buam), Marko Živadinović (Roland Neuwirth&Extremschrammeln), Ingrid Eder (attensam quartett)
oder neuerdings Helmut Stippich (Mischwerk).
Die Knöpferl – Die Schrammelharmonika
Wie andere Handzuginstrumente besteht auch die Schrammelharmonika aus zwei
Teilen (Diskant- und Bassteil), die durch einen Balg miteinander verbunden sind.
Durch das Auseinanderziehen und Zusammendrücken der beiden Teile wird die Luft
im Balg durch die Stimmstöcke in den beiden Seitenteilen geführt und der Ton
erzeugt. Die erste Schrammelharmonika hatte 52 chromatische Diskantknöpfe in drei
Reihen angeordnet (kleine Terzabstände) und 12 diatonische Bassknöpfe
(verschiedene Töne beim Auseinanderziehen und Zusammendrücken).
In Wien bezeichnet man ein chromatisches Knopfgriffakkordeon in B-Lage mit
diatonischen Bässen auch liebevoll als die Knöpferl, oder – wissenschaftlich exakter – Budowitzer. Karl Budowitz, ein aus Brünn eingewanderter Instrumentenbauer,
fertigte im Zeitraum von 1882 bis 1925 etliche solcher Instrumente an, von denen
viele noch erhalten und tadellos spielbar sind. Er wird als Erfinder des chromatischen
Basssystems bezeichnet. Matthäus Bauer hatte bereits seit 1850 Harmonikas
gefertigt und war Ahnherr einer über viele Generationen tätigen Firma, die 1960 von
Hugo Stelzhammer gekauft wurde. Eine ähnlich traditionsreiche Dynastie von
Harmonikaerzeugern geht auf Rudolf Pick zurück.
Weiters können genannt werden: Josef Reisinger, Franz Hochholzer, Johann
Nepomuk Trimmel, Thomas Valasek und Regelstein & Raab. In Wien bildeten Josef
Barton, bis etwa 1954 Franz Kuritka (Lehrling und Nachfolger von Regelstein &
Raab) sowie Karl Macourek die letzten Generationen der Wiener Harmonikamacher.
Heute existieren in Österreich drei Firmen, die Harmonikas bauen, allerdings meist
diatonische Harmonikas. In den letzten Jahren ist das Interesse an solchen
Instrumenten, aber auch an der Schrammelharmonika, wieder im Zunehmen
begriffen. Viele alte Stücke werden zudem liebevoll restauriert und musikalisch
eingesetzt.
Siehe: Walther Soyka http://schrammelharmonika.nonfoodfactory.org/geschichte.html und: Andreas
Teufel: Die Schrammelharmonika - Instrumentenkunde, Geschichte und Spielweise des
chromatischen Wiener Knopfgriffakkordeons. Magisterarbeit, 2006. Download der Arbeit unter
http://schrammelharmonika.nonfoodfactory.org/Andreas_Teufel/Andreas_Teufel_DA_2006.pdf
Perspektiven und Projektziele:
Berücksichtigt man sämtliche in Wien ansässige Schrammelquartette und die
sogenannten Packl, also Duos mit Kontragitarre & Knopfharmonika, kommen wir auf
eine relativ geringe Anzahl von Schrammelharmonikaspieler. Nicht jedes Quartett
oder Packl hat einen Knöpferlspieler, viele weichen auch auf ein normales
Akkordeon mit Klaviertasten aus. Das liegt zum großen Teil daran, dass neue
Instrumente kaum mehr gebaut und die alten relativ teuer gehandelt werden bzw. oft
in keinem guten Zustand sind.
Gezielte Nachwuchsförderung, Restauration alter Instrumente sowie Initialzündungen
zum Neubau dieses besonderen Instrumentes sind also wichtige, zukunftsweisende
Ziele, die sich das Wiener Volksliedwerk in Zusammenarbeit und mit Unterstützung
von Schirmherr Roland J.L. Neuwirth, dem Verein „Das Einkaufs-8el Alt-Ottakring“,
Institutionen im Bereich des Musikschulwesens sowie Subventionsgebern und
weiteren Sponsoren setzt.
Nachwuchsförderung Schrammelharmonika
Mit den 2008 initiierten Musikantentagen für spezifisch wienerische Musik hat das
Wiener Volksliedwerk bereits erste Erfolge in der Nachwuchsförderung am
Instrument „Schrammelharmonika“ erzielt. Die Teilnehmerzahl für die
Schrammelharmonika war jedoch – wie zu erwarten – geringer als etwa die für die
Kontragitarre, die von mehreren Gitarrebauern in Wien und Umgebung gebaut wird.
Wenn wir in der Lage sind, gut spielbare Instrumente zu verleihen oder – in Zukunft
auch – neue (und gebrauchte) Instrumente zu verkaufen, können wir den
(optionalen) Nachwuchs gezielt ansprechen.
Vor allem in Zusammenarbeit mit Fachkundigen und öffentlichen
Musikeinrichtungen kann das Wiener Volksliedwerk in seiner Aufgabe als
Schnittstelle einen wichtigen Beitrag leisten, das Erlernen des Instrumentes
zugänglich zu machen.
Bei Koordinierung unserer Vorhaben könnte die Knopfharmonika als Unterrichtsfach
langfristig sogar in mehreren Musikschulen angeboten und der Schwerpunkt Wiener
Schrammelmusik eingeführt werden.
Bestens dafür geeignete Lehrer, wie etwa Marko Živadinović, Ingrid Eder oder
Patrick Rutka sind hier zu nennen.
Restauration
Über die Knöpferl-Experten Walther Soyka und Patrick Rutka kennen wir mittlerweile
eine Reihe von Harmonikabauern. Neun Knopfharmonikas, die sich in den
Archivbeständen des Wiener Volksliedwerks befinden, wurden bereits durch
fachkundige Überholung des Harmonikaspezialisten Karl Gruber wieder spielbar
gemacht. Diese Instrumente stehen ab sofort für eine Verleihung an Schüler zur
Verfügung.
Neubau
Ein weiteres, langfristiges Ziel des Projektes ist es, Harmonikabauer für den Neubau
dieses besonderen Instrumentes zu gewinnen und etwa mit Unterstützung des
Vereins „Das Einkaufs-8el Alt-Ottakring“ diesen Neubau zu finanzieren.
Ein Harmonikabauer, wie zum Beispiel Herfried Zernig aus Sebersdorf, könnte als
langfristiger Partner gewonnen werden. Zernig bietet bereits Schrammelharmonika-
Modelle an, die in den Anschaffungskosten etwa einer Steirischen Harmonika
entsprechen. Mit einem Auftrag von 20-30 Instrumenten (nur finanzierbar mit
mehreren großen Sponsoren) würde das einzelne Instrument für Anfänger sicher
erschwinglicher sein.
Der Musikinstrumentenbauer Ernst Spirk (aus Laxenburg) beschäftigt sich ebenfalls
seit geraumer Zeit mit dem Bau neuer Schrammelharmonikas, u.a. mit Patrick Rutka.
Im Fokus liegt hier nicht der getreue Nachbau alter Instrumente, sondern die
mechanischen Verbesserungen (z.B. Geräuschverminderung, Kasten im Vollholz).
Die beiden haben Kontakt zu einer tschechischen Firma, die neuerdings wieder
Messingzungen produziert. Dieser work in progress ist zur Zeit sehr spannend und
für unser Projekt richtungweisend.
Stand September 2014:
Seit dem Sommersemester 2013 musizieren 5 Schülerinnen der Musikschule Wien im 15. Bezirk in einem Schrammelquartett. Die Gruppe nennt sich Die Schrammelknödel: Sophia Diaba (Geige) | Viktoria Strazek-Helios (Geige) | Constanze Chrstos (Altwiener Knöpferlharmonika) | Martin Vojta (Kontragitarre). Dazu gesellt sich Gudrun Ettrich als Sängerin. Die Schrammelknödel haben bereits mehrmals für das Wiener Volksliedwerk und das Wienerliedfestival wean hean mit großem Erfolg gespielt.
Alle SchülerInnen besuchen die Musikschule Wien bei folgenden LehrerInnen: Ingrid Eder (Akkordeon), Susanne Müller-Hartburg (Geige), Daniela Porter (Gesang).
Ernst Spirk und Patrick Rutka haben im Sommer 2014 die erste Serie eines neuen Schrammelharmonika-Modells vorgelegt.
Das Wiener Volksliedwerk hat ein Instrument angekauft und an den Knöpferspieler Helmut Stippich (NWCS, Mischwerk, Stippich&Stippich) weitergegeben. Details zum neuen Modell sind im bockkeller Artikel »Geölt und wachspoliert - eine neue Knöpferl« beschrieben (20. Jg., Nr.4, Sept./Okt. 2014, S. 7f.).
Kontakt: Wiener Volksliedwerk, Susanne Schedtler. Vgl. auch
bockkeller, 18. Jg.,
Nr.1 Jänner 2012
bockkeller, 20. Jg., Nr.4 September-Oktober 2014 |