Das Wienerlied bis heute

Geschichte des Wienerliedes
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Rudolf Kronegger: Wollt ’s wissen wer i bin?
In der Zwischenkriegszeit versuchen großartige Textdichter und Komponisten, dem Wienerlied neues Leben einzuhauchen: Rudolf Kronegger, Ludwig Gruber, Roman Domanig-Roll, Franz Allmeder, Hans v. Frankowsky, Franz Paul Fiebrich und Karl Föderl sind hier vorrangig zu nennen. 1921 wird die Gesellschaft zur Hebung und Förderung der Wiener Volkskunst gegründet. Viele andere Vereine, deren Anliegen die „Rettung des Wienerliedes“ ist, folgen.

Etliche Vereinigungen vertreten dabei bis heute auch Sozialanliegen, wie der Humanitäre Bund der Berufssänger. Diese Vereine treten häufig als Konzertveranstalter auf. Besonders beliebte Anlässe für derartige Konzerte sind Künstlerjubiläen. Kennzeichnend dabei ist eine große Anzahl mitwirkender Künstler.

Rückzugsgebiet des Wienerliedes war und ist der Heurige. Allerdings nicht jene Touristenbetriebe, wie man sie heute vor allem in Grinzing und Neustift findet. Fernab des organisierten Tourismus- und Kulturbetriebes hat sich eine gewisse Ursprünglichkeit des Genres erhalten. Dies zu erleben ist nicht ganz einfach, nur Eingeweihte wissen immer Bescheid, wo die gute „Musi“ spielt. Dann kann man aber noch immer eine Sternstunde miterleben.
Man kann schon verstehen, dass in dem zerstörten Wien der Nachkriegszeit die Vergangenheit besonders rosig erscheinen musste; natürlich nicht die unmittelbare, sondern die möglichst weit weg liegende, auch politisch unverdächtige. Maria Theresia, Sissi und Mayerling werden thematisiert. Eine große Anzahl neuer Wienerlieder entsteht, die aber musikalisch keine nennenswerten Entwicklungen zeigen und inhaltlich der Realität ausweichen. Dies geht so bis weit in die 1960er Jahre.

Sprachlich Neues bringen Mitglieder der Wiener Gruppe um Gerhard Rühm, Oswald Wiener, Friedrich Achleitner, weiters H.C. Artmann und Ernst Jandl, deren Texte teilweise vertont wurden. Am bekanntesten davon dürften die von Ernst Kölz vertonten und von Helmut Qualtinger interpretierten Artmann-Lieder sein.

Für die Wienermusik gilt dies vermutlich zu Unrecht als Randbereich, schließen diese Lieder doch wieder an die Tradition der Küchenlieder und Bänkelgesänge an. Eingefleischten Echtwienerliedfans ebenso suspekt ist das am Beginn der 1970er Jahre kreierte Wiener Chanson von Karl Hodina mit Liedern wie 's Vogerl am Bam und I liassert Kirschen für di wachsen. Jazz und Blues werden hier musikalisch integriert.

Der Musiker und Maler Karl Hodina kommt aus der Jazzszene. In den 1950er Jahren gründet er das Modern Jazz Quartett Ottakring. In den 1960er Jahren wendet er sich intensiv und sehr erfolgreich der Malerei zu, muss diese aber wegen eines Augenleidens unterbrechen. In dieser Zeit findet er zur Wienermusik. Bald darauf schreibt er seinen ersten Hit, wie man mittlerweile anstelle von Schlager sagt, den Herrgott aus Sta’.

Sein erstes Lied ist übrigens die Vertonung eines Textes von H.C. Artmann, In an schbeden Herbst. Die Zusammenarbeit mit dem Fernsehjournalisten Walter Pissecker, der erstklassige Texte schreibt, fruchtet in etlichen wunderbaren Liedern, wie das bereits erwähnte I liassert Kirschen für di wachsen, das viele Interpreten in ihr Repertoire aufgenommen haben. Heute über fünfundsiebzigjährig, unglaublich vital, steht Karl Hodina nach wie vor musikalisch fest auf zwei Beinen: dem Jazz und der Wienermusik. In den letzten Jahren kompositorisch mehr der Instrumentalmusik als dem Lied verhaftet, verdanken wir ihm einige neue Tanz, die man als wirkliche Weiterentwicklung des Genres sehen muss.

Der zweite Erneuerer kommt mit Roland J. L. Neuwirth in den 1970er Jahren. Er und seine Extremschrammeln sind seit vielen Jahren weit über Österreich hinaus ein Begriff. Wesentlich stärker noch dem Blues zugetan und mit einem besonderen Sprach- und Dialektgefühl ausgestattet, schreibt Neuwirth eine bedeutende Anzahl erfolgreicher Lieder. Zwischendurch macht er aus seiner musikalischen Liebe zu den alten Tanz kein Hehl und verführt, fast möchte man sagen als Doppelagent, sein Publikum immer wieder in diese Richtung.

Zur Zeit beschäftigen sich etliche, auch junge Komponisten, Textdichter und Interpreten mit dem Wienerlied und der Instrumentalmusik. Dazu gehören Manfred Kammerhofer, Kurt Obermair, der großartige Knopfharmonikaspieler Walther Soyka, Peter Havlicek, das Kollegium Kalksburg, die Strottern, Tesak&Blazek oder das Trio Lepschi.

Auch Musiker anderer Stilrichtungen finden die Beschäftigung mit Wienermusik nicht so abwegig. Alegre Corrêa, Max Nagl, Krzysztof Dobrek, Oskar Aichinger seien hier genannt. Ebenso bemerken wir, dass das öffentliche Interesse wieder steigt. Ein bedeutendes Veranstaltungsangebot, Festivals, Musikerstammtische und Wienerliedkurse sind sowohl Ursache wie Indiz.

Die beachtliche Anzahl, teilweise hervorragender Schrammelquartette und anderer Wienermusikformationen, junge Sängerinnen, die sich wieder mit dem Wiener Dudler beschäftigen, und die noch immer beträchtliche Zahl arrivierter Wienerliedinterpret(inn)en lassen auf eine intakte Szene schließen. Nur ist die Wienermusik, wie bereits erwähnt, eben nicht mehr die hauptsächliche Vergnügungsform, der diese Stadt huldigt. Aber das ist seit über 100 Jahren so.

Vom sozialen Standpunkt aus war die Wienermusik ab etwa 1900 ein wenig die Musik der Modernisierungsverlierer mit daraus resultierender Gegenwarts- und Zukunftsverweigerung. Heute ist das Interesse wieder wesentlich breiter gestreut.