Anmerkungen zu „Die Mordthat auf der Mölkerbastei“

Das zierliche Häuschen mit der reich gegliederten Fassade an der Ecke Mölkersteig und Schreyvogelgasse bringt heute noch der Volksmund mit Franz Schubert in Verbindung, denn hier haben angeblich die drei von ihm verehrten Töchter des Glasermeisters Tschöll gewohnt. Längst vergessen aber ist, dass dieses „Dreimäderlhaus“ in der Nacht vom 1. zum 2. Dezember 1861 Schauplatz einer grauenvollen Bluttat gewesen ist: Der 36-jährige Schmiedegeselle Raimund Lewisch, der hier den ebenerdigen Raum bewohnte, hatte mit dem bildhübschen Stubenmädchen Anna Gangisch seit Jahren ein Verhältnis, dem zwei Kinder entsprossen waren. Man wollte heiraten, sobald Lewisch Meister geworden wäre. Doch seit Sommer 1861 kam es immer wieder zwischen den beiden zu Zwistigkeiten: einerseits wegen der Kostplätze für die Kinder, andererseits hatte Lewisch heimlich eine reiche Witwe mit einer gutgehenden Schmiede in der Alservorstadt kennen- und liebengelernt. Damit konnte er sich endlich die Aussicht auf einen eigenen Betrieb erhoffen, so dass er Überlegungen anstellte, wie er seine ihm lästig gewordene Geliebte los werden könne.

Nach einer handgreiflichen Auseinandersetzung erwürgte er Anna Gangisch im Affekt, zerstückelte ihre Leiche, um sie unkenntlich zu machen, und warf sie in den Donaukanal. Doch alsbald wurde der Rumpf des Opfers an der Salztorbrücke aus dem Wasser gefischt, die übrigen Leichenteile konnten im Hauskanal auf dem Mölkersteig gefunden werden. Als sich aufgrund von Speiseresten im Magen des bedauernswerten Opfers auch zweifelsfrei dessen Identität nachweisen ließ, erzählte Lewisch dem Untersuchungsrichter, seine ehemalige Geliebte habe sich selbst entleibt, und er habe nur die Leiche möglichst unauffällig verschwinden lassen, um nicht selbst in den Verdacht eines Mörders zu kommen.

Die Tat hartnäckig leugnend, stürzte er sich nach einem Verhör im Landesgericht vom zweiten Stockwerk des Stiegenhauses in die Tiefe, da er, wie er später meinte, die "Schande der Mordverdächtigung" nicht überleben wollte. Mit einer "Erschütterung des Gehirns und des Rückenmarks" wurde er ins Inquisitenspital eingeliefert. Dort wurde Lewisch angesichts des Ablebens von Karl Weber, einem im Bett neben ihm liegenden Raubmörder, zu einem umfassenden Geständnis bewogen. Doch konnte er nicht mehr von einem irdischen Richter zur Verantwortung gezogen werden: am 22. Jänner 1862 erlag er den Verletzungen, die er sich beim Sturz im Stiegenhaus zugezogen hatte. Nach Einbruch der Dunkelheit wurde er am 25. Jänner an der Mauer des Währinger Friedhofes an jener Stelle, die für Verbrecher und Selbstmörder bestimmt war, in aller Stille begraben.

Dieser Kriminalfall fand bei den Zeitgenossen offenbar derartiges Interesse, dass die schreckliche Begebenheit sogar auf ein zweites Liedflugblatt ausgedehnt wurde:

„Die Menschheit strömmt auf die Bastei,
Um diesen Ort zu sehen,
Wo diese That von einen Mann
Erst unlängst ist geschehen.
Und mancher sagt, so ein Vergeh’n
Ist schrecklich anzuhören,
Das Menschenherz muß sich dabei
Im hohen Grad empören.
Ihm muß jetzt sein Gewissen schon
Gar keine Ruhe geben,
Warum, weil er durch einen Sturz
Sich nehmen wollt das Leben.
Doch aber es wollt schon nicht sein,
Daß er so früh sollt enden,
Den Selbstmord konnt er nicht vollzieh’n,
Er blieb in Richtershänden.“